Heft 
(1975) 21
Seite
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Er teilte Kuglers Abnagung gegen die betonte Regelmäßigkeit baulicher Ensembles und städtebaulicher Anlagen. Er bevorzugte die schmalen verwinkelten Gassen und eng umbauten Kirchen.

Im schottischen Reisebuch drückt er angesichts der Neugestaltung der Umgebung der Kirche St. Giles in Edinburgh sein Bedauern darüber aus, daß das Malerische des Platzes dem Verkehr zum Opfer gefallen war. die alte Bebauung sei doch aus einem Guß gewesen:eckig, winklig, verbaut aber malerisch [...] und statt der ängstlichen Sauberkeit des frisch abgeputzten St. Giles präsentierte sich der alte Bau im Schmuck seiner Buden und Kramläden, die sich eng und niedrig unter die gotischen Fenster gekauert oder in voller Breite zwischen den Strebepfeilern etabliert hatten. Das Mittelalter hatte doch Recht, und unsere Purifika- tion, wo immer sie sich breit macht, hat oft herzlich wenig von dem guten Geschmack an sich, den sie in großen Buchstaben auf ihre Fahnen schreibt.' 18

Den malerischen Reiz unregelmäßiger baulichen Anlagen hebt Fontane auch in seinen Rheinreisenotizen 1865 hervor; er vermerkt darin über die rheinischen Dörfer, daß sie mit ihren alten, schiefen, krummbuck­ligen, bunten Häusern fast reizvoller als die Schlösser wären. 49 In der Beurteilung seiner Heimatstadt Neuruppin in denWanderungen und der Stadt Saarbrücken inAus den Tagen der Okkupation kommt seine Neigung für malerische städtebauliche Anlagen ebenfalls zum Ausdruck, in beiden Fällen beklagt er die langweilige Regelmäßigkeit der Anlage. 60

Das Interesse an den historischen Altstädten begann um die Mitte des 19. Jahrhunderts zu erwachen. Es stand mit der historisch orientierten Zeit im Zusammenhang und wurde durch das Entstehen der Großstädte und die sich durch die industrielle Entwicklung vielerorts rasch verän­dernden Stadtbilder forciert.

In den frühen Bemühungen um die Bewahrung der alten Städte ging man zunächst mehr von der Bildwirkung aus, dabei sind romantische Vorstellungen noch mit im Spiele, erst allmählich wuchs das Verständnis für die historische Aussagekraft der in Jahrhunderten gewachsenen Stadt. Fontanes und Kuglers Engagement für die malerischen Altstädte war daher einerseits keine Einzelerscheinung, wurde zum anderen aber doch erst von wenigen Wegbereitern einer städtebaulichen Denkmal­pflege geteilt.

Auch Kugler hat sich mit dieser Thematik nur ausnahmsweise befaßt, ohne praktische Konsequenzen für seine Forschungs- oder seine staat­liche Arbeit daraus herzuleiten.

In der Regel wurden historische Monumente isoliert betrachtet, und man war bestrebt, sie von ihrer meist aus verschiedenen Zeiten herrührenden baulichen Umgebung zu befreien in der irrigen Annahme, die Bedeutung der einzelnen Bauwerke dadurch zu steigern. Man verkannte dabei nicht allein die historische Bedingtheit, sondern auch die maßstabbildende Wirkung eng aneinandergefügter kleiner Häuser in der Umgebung von Monumentalbauten.

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