Das zeigt sich schon in der Schilderung von Westbow, Grassmarket in „Jenseit des Tweed“. Er vermerkt, daß der malerische Reiz dieses Teiles von Alt-Edinburgh durch Schmutz und Baufälligkeit doch zu sehr auf Kosten anderer Sinne erkauft würde. 58 Ausführlicher geht er auf solche Fragen in einem Brief vom 10. Oktober 1874 an Karl und Emilie Zöllner ein, in dem er über Venedig berichtet, dessen malerischen Reiz er, bedingt durch den Schmutz, mit gemischten Gefühlen genossen hat: „Die ganze Welt der Erscheinungen ist nicht dazu da, um Malern und Poeten wünschenswerte und bequem liegende Stoffe zu bieten, sondern um überhaupt zu befriedigen und zu erfreuen. Das Leben selbst stellt vielfach andere Forderungen als die Kunst, und Individuen wie Staaten gehen zugrunde, die dies übersehen.“ 69
Der Sinn für malerische Wirkungen war bei Kugler wie bei Fontane wesentlich daran beteiligt, daß sie verhältnismäßig früh eine Beziehung zur Barockkunst fanden.
Das frühe 19. Jahrhundert stand noch unter dem Einfluß der antibarocken klassizistischen Haltung. Sie wirkte in der Architektur wesentlich länger nach als in der Malerei. Die romantische Strömung hatte diese Haltung zwar gelockert, mit der Hinwendung zum Mittelalter aber gleichzeitig neue Barrieren errichtet. Die Biedermeiermalerei orientierte sich an der niederländischen Barockmalerei, und im Kunsthandwerk begann man um die Mitte des 19. Jahrhunderts bereits auf Rokokoformen zurückzugreifen. In der Architektur beherrschte der Neubarock jedoch erst das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts. In der deutschen Kunstgeschichte beginnt die Aufwertung und Erforschung der Barockkunst — von Einzelbeiträgen abgesehen — erst 1887 mit der „Geschichte des Barockstils in Italien“ von Cornelius Gurlitt. In der Praxis der Denkmalpflege behauptet sich die antibarocke Haltung vielfach noch bis ins ausgehende 19. Jahrhundert.
Noch während der ersten Denkmalpflegetagung in Dresden im Jahre 1900 kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen Cornelius Gurlitt und Paul Tornow über die unter Tornows Leitung erfolgte Restaurierung des Metzer Domes, dessen Anbau aus dem 18. Jahrhundert bei dieser Gelegenheit entfernt und durch einen Neubau in historisierenden Formen ersetzt worden war. 60
Franz Kugler hatte sich wiederholt für die Erhaltung barocker Teile an mittelalterlichen Baudenkmalen ausgesprochen, es sei an den eingangs zitierten Abschnitt aus dem Aufsatz „Zur Kunde und zur Erhaltung der , Denkmäler“ (vgl. S. 331 f.) erinnert. Als er 1853 von dem Plan erfuhr, den von Franz Ignaz Michael Neumann geschaffenen Vorbau am Speyrer Dom durch einen neuromanischen Bau zu ersetzen, stellte er die Richtigkeit einer solchen Maßnahme in Frage. Dieser Neubau wäre doch auch nur „ein neues Modell des Alten [...] weder alt noch neu“, während der vorhandene Vorbau bereits historische Bedeutung erhalten habe. Er bezeichnete ihn als ein „eigentümliches Werk, charakteristisch für seine Zeit“, das „nicht in absolutem Widerspruch gegen das Ganze stünde.“ 61
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