einer Gesellschaft, eines Zeitalters“, das (nach den Worten Heinrich Manns zum 50. Todestag Fontanes) „soziale Kenntnis gestalten und vermitteln, Leben und Gegenwart bewahren kann noch in einer sehr veränderten Zukunft, wo, sagen wir, das Berlin von einst nicht mehr besteht“.
Uber der legitimen Popularität der Romane drohen nun die „Wanderungen“ in ein unverdientes Schattendasein zurückzutreten, da sie — aus den unterschiedlichsten Gründen — in der DDR bisher nur in Auswahlausgaben erschienen sind und überdies in der Forschung meist nur noch als Vorstufe der Epik, als Materialreservoir und Fingerübung des Romanciers gelten. Zudem scheinen sie manchenorts als heimatliterarischer Geheimtip bewertet, anderenteils jedoch als „allzu preußisch“ verdächtigt zu werden.
Zweifellos ist die unverwechselbare Position Theodor Fontanes in der Literatur des neunzehnten Jahrhunderts im erzählerischen OEuvre begründet, für das der Autor allerdings gerade auf seinen Streifzügen durch die Mark Stoffe und Motive, Personnage und Szenerie erkundete und für das er bei der Schilderung ebendieser märkischen Bilder auch das schriftstellerische Handwerk erprobte und perfektionierte. Die faszinierende Exaktheit im lokalen wie personellen Detail, im landschaftlichen Kolorit und in der realistischen Atmosphäre, in all jenen „Genreszenen ..., in denen abwechselnd Kutscher und Kossäten und dann wieder Krüger und Küster das große Wort führen“ — das alles verdankt der Erzähler natürlich dem Wanderer; doch daraus ergibt sich noch nicht eine lediglich „dienende“, allein „vorbereitende“ Funktion der „Wanderungen“.
Die landläufige Vorstellung, Fontane habe zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgehört, „Wanderungen“ zu schreiben, und begonnen, Romane zu veröffentlichen, ist biographisch-werkgeschichtlich nicht haltbar. Fontane reift zum Erzähler in den beiden Jahrzehnten, in denen die „Wanderungen“ entstehen; die Arbeit am Romanerstling „Vor dem Sturm“ (1878), der ja auch formal noch die größte Verwandtschaft mit den „Wanderungen“ aufweist, bereitet sich vor mit der „Grafschaft Ruppin“, läuft in aller Stille synchron mit „Oderland“ und „Havelland“ und ist teilweise schon mit „Spreeland“ verzahnt. Andererseits sieht die „Romanphase“ der achtziger und neunziger Jahre Fontane ständig — wenn auch in unterschiedlicher Intensität — mit märkischen Projekten beschäftigt. Während „Irrungen, Wirrungen“ und „Cecile“, „Stine“ und „Frau Jenny Treibei“ entstehen und „Effi Briest“ konzipiert wird, trägt er in umfangreichen Essays wiederum „Altes und Neues aus Mark Brandenburg“ zusammen und publiziert es Ende 1888 unter dem Titel „Fünf Schlösser“; zugleich schreibt er für die geplante fünfte Auflage der „Grafschaft Ruppin“ neue umfangreiche Kapitel nieder. Schon 1883 disponiert der Autor den Stoff für ein „vierbändiges Parallelwerk“ zu den „Wanderungen“, das „Geschichte und Geschichten aus Mark Brandenburg“ heißen sollte, aber über zahlreiche Vorarbeiten hinaus nicht gedeiht. Das Jahr 1889 — Fontane wird siebzig und engagiert sich als
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