prominenter Theaterkritiker für die naturalistische Dramatik — entflammt den Romancier noch einmal für ein aufwendiges lokalhistorisches Unternehmen, das er brieflich (an Paul Schlenther, 9. Januar 1890) als „geträumte Lieblingsarbeit“ ausgibt und im Tagebuch (Mai 1889) gar als „Hauptarbeit“ deklariert. Nichts Geringeres als eine zweibändige Geschichte der Bredow-Familie beabsichtigt er, worin sich „natürlich“ der „gesamte Adel von Mark, Mecklenburg und Vorpommern ein Rendezvous“ gebe (wie er am 5. Mai 1889 seiner Tochter mitteilt). Den Freunden entwickelte er sogleich, daß er dabei „der Welt und der Geschichtsschreibung“ zeigen wolle, „wie man solchen Stoff überhaupt zu behandeln [habe], gründlich und doch nicht langweilig“. Ja an Max von Bredow schreibt er sogar, daß die „Wanderungen“, „die mir in der Tat mehr Anerkennung als meine ganze sonstige Schriftstellerei eingebracht haben“, noch lange nicht sein Ideal seien. „Mein Ideal hat sich erst ganz allmählich herausgebildet und besteht darin, ein Buch zu schreiben, das unterhaltliches Geschichts- und Geschichtenbuch und zugleich aufschlußgebendes Nachschlagebuch sein soll.“ Damals fixiert Fontane die Stoffskizzen zum „Ländchen Friesack“, die freilich bald liegenbleiben, als sich die autobiographischen und erzählerischen Vorhaben der neunziger Jahre gebieterisch in den Vordergrund drängen. Aber noch in den allerletzten Lebenstagen — Fontane wartet auf die Buchausgabe seines „Stechlin“-Romans — sucht er die Bredow-Notizen wieder hervor und ergänzt sie mit Eifer.
Demnach bestimmt sich die Position der „Wanderungen“ gegenüber der Epik sowohl aus vorbereitenden wie aus begleitenden Elementen; sie sind zwar tausendfältig mit der Romanwelt verknüpft, bilden aber einen originären Bestandteil des Gesamtwerks, den der Autor trotz sich wandelnder Überzeugungen bis zu seinem Tode als ein selbständiges Genre liebevoll pflegte.
Der Eigenwert der „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ beruht zunächst auf der literarisch-publizistischen Eroberung eines Landstrichs, der als „Streusandbüchse“ des Heiligen Römischen gleiches einen mehr als zweifelhaften Ruf genoß und den man im Grunde (wie Fontane in einem Brief an seinen Verleger Wilhelm Hertz vom 31. Oktober 1861 feststellte) nur mit „Schlachten und immer wieder Schlachten, Staatsaktionen, Gesandtschaften“ in Verbindung brachte. Das „Schönmenschliche blieb tot“ dabei, und deshalb wollte Fontane „die , Lokalität' wie die Prinzessin im Märchen zu erlöserj“ versuchen. Jeder Märker sollte (so ließ der Autor am 18. Januar 1864 in einem Brief an Emst von Pfuel verlauten) künftig mit einem märkischen Orts- oder Geschlechtsnamen „sofort ein bestimmtes Bild“ verknüpfen, „was jetzt gar nicht oder doch nur in einer prosaisch-häßlichen Weise der Fall ist. Wenn jetzt ein Berliner die Namen Strausberg, Ruppin, Spandau, Kyritz hört, so tritt nur Häßliches oder Komisches vor ihn hin — die Zucht- und Irrenhäuser leben in seiner Phantasie, nicht die historischen Häuser oder Gestalten dieser Städte.“
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