auch Prosaisches nicht ausgeschlossen — exakt und minutiös zu schildern und durch scheinbar einfachste, aber gerade deshalb schwierigste Mittel, durch Simplizität, Durchsichtigkeit im einzelnen und Übersichtlichkeit im ganzen, auf eine gewisse künstlerische Höhe zu heben, ja es dadurch sogar interessant oder wenigstens lesensmöglich zu machen“. Diese Art der Behandlung gelang ihm, weil er sich wie kein anderer den märkischen Stoff erschlossen hatte. Er war nicht nur in der einschlägigen Literatur zu Hause, er hatte eine umfangreiche Korrespondenz mit Verwandten und Bekannten, mit Landpastoren und Dorfschulmeistern geführt, Kirchenbücher und Familienpapiere durchgesehen und an Ort und Stelle selber recherchiert. Als methodisches Ziel schwebte ihm dabei immer vor: „Totalität Und Wiedergabe kleinsten und intimsten Lebens. Nicht Namen, Zahlen, Überschriften, sondern immer Bilder und Geschichten.“ (An Max von Bredow, 15. Mai 1891.) Er fahndet daher besonders gern nach Briefen und biographischen Details, nach Anekdoten und persönlichen Berichten, nach „historisch-romantischem Lüder- lichkeits-Material“ (an die Schwester Lise, 29. Januar 1873). Von Akten und Archiven hielt er nichts: „... die wahre Kenntnis einer Epoche und ihrer Menschen, worauf es doch schließlich ankommt, entnimmt man aus ganz andren Dingen. In sechs altenfritzischen Anekdoten steckt mehr vom Alten Fritz als in den Staatspapieren seiner Zeit.“ Fontane verwies mit Stolz auf das „bestimmte Quantum historischen Stoffes“, das er im Laufe der Jahre auf gehäuft hatte und das nur bei ihm zu finden war, aber mit der Fachwissenschaft wollte er keinesfalls konkurrieren. Er schrieb am Schluß des vierten Bandes: „Wer sein Buch einfach Wanderungen“ nennt und es zu größerer Hälfte mit landschaftlichen Beschreibungen und Genreszenen füllt, in denen abwechselnd Kutscher und Kossäten und dann wieder Krüger und Küster das große Wort führen, der hat wohl genugsam angedeutet, daß er freiwillig darauf verzichtet, unter die Würdenträger und Großkordons historischer Wissenschaft eingereiht zu werden. Ich habe ,mein Stolz und Ehr“, und zwar mit vollem Bewußtsein, auf etwas anderes gesetzt, aufs bloße Plaudernkönnen ... “
Auf diese Weise hat Theodor Fontane etwas zur Geschichte der Reiseliteratur beigesteuert, was er selber treffend als Reisefeuilleton bezeich- nete und das von der sachlichen Systematik Karl Baedekers ebensoweit entfernt ist wie von der historischen Gelehrsamkeit eines Leopold von Ranke (und noch weiter von dessen reaktionärer Position). Da er Reiseberichte sein Schriftstellerleben lang schrieb — Berichte aus England und Schottland waren den „Wanderungen“ vorausgegangen, Aufzeichnungen aus Dänemark und Böhmen sowie zwei Frankreich-Bücher begleiteten sie, und in gewissem Sinne ist ja selbst die späte Sammlung „Von vor und nach der Reise“ (1894) diesem Genre zuzurechnen —, hat sich das Reisefeuilleton erst allmählich konstituiert.
Der Londoner Plan von 1856 sah noch ein alphabetisches Ordnungsprinzip vor, aber schon mit seinem Schottland-Buch „Jenseit des Tweed (1860) eroberte Fontane attraktivere darstellerische Möglichkeiten, die die spezi-
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