hatte, als typisch durchschauen, und der Kreis schließt sich, wenn man jenem konservativen Credo von 1860 ein anderes von 1894 gegenüberstellt: „Ich werde immer demokratischer, lasse höchstens noch einen richtigen Adel gelten“ — den Adel der Gesinnung und des Herzens nämlich, wie er ihn mehr und mehr nur noch beim „kleinen Mann“ fand und anerkannte. Und so gibt es auch zu der Eloge auf den Adel und der Geringschätzung der „Schultzes und Lehmanns“ vom Jahre 1860 ein korrigierendes Pendant. Ebenfalls 1894 gesteht Fontane in einem Brief an Georg Friedlaender: „Von meinem vielgeliebten Adel falle ich ' mehr und mehr ganz ab, traurige Figuren, beleidigend unangenehme Selbstsüchtler von einer mir ganz unverständlichen Borniertheit... Sie müssen alle geschmort werden. Alles antiquiert! Die Bülows und Arnims sind zwei ausgezeichnete Familien, aber wenn sie morgen von der Bildfläche verschwinden, ist es nicht bloß für die Welt, (da nun schon ganz gewiß), sondern auch für Preußen und die preußische Armee ganz gleichgültig, und die Müllers und Schultzes rücken in die leer gewordenen Stellen ein. Mensch ist Mensch.“
Dieses radikale Votum — keiner augenblicklichen Verärgerung, sondern jahrzehntelanger kritischer Beobachtung und wachsender historischer Einsicht entsprungen — wird in zahlreichen Äußerungen seit den siebziger Jahren vorbereitet. Fontane hatte, wie er im Januar 1880 an Mathilde von Rohr schrieb, „in dem Verkehr mit Hof und Hofleuten ein Haar gefunden; sie bezahlen nur mit ,Ehre‘, und da diese ganze Ehre auch noch nicht den Wert einer altbackenen Semmel für midi hat, so wird es mir nicht schwer, darauf zu verzichten“. Was Wunder,, daß er sich nun — Sommer 1881 — in Thale geniert, die „Kreuzzeitung“ „zu zeigen oder gar in Gegenwart andrer zu lesen“! Die veränderte Haltung färbt bereits auf den letzten Band der „Wanderungen“ ab und spiegelt sich vor allem im Schlußwort, das der Autor aus gutem Grund als „kleinen politischen Essay“ verstand. Sein Verhältnis zu den Junkern war prekär geworden. Er fand „die Kerle“ „unausstehlich und reizend zugleich“ und sah sich, wie er dem Verleger der „Wanderungen“ am 1. November 1881 bekannte, zu einem vertrackten „Mittelkurs zwischen Freisinnigkeit und Verbindlichkeit, zwischen Anerkennung des persönlichen und gesellschaftlichen und Anzweiflung des politischen Menschen in unsrem Landadel“ gezwungen. In der Form von „Wanderungen“ war ein solcher „Mittelkurs“ zwischen Gefühlstradition und geschichtlicher Erkenntnis gerade noch möglich, in der Epik nicht mehr. Die „Wanderungen“ führen „Pflichttrampel und Dienstknüppel“ vor und zeigen, wie aller „Ruppigkeit und Unausstehlichkeit unbeschadet“ aus „der / letzten Nummer Deutschlands“ seine erste werden konnte. Als Fontane mit diesen Formulierungen einen Werbetext zu den „Wanderungen“ entwirft, ist in der „Vossischen Zeitung“ bereits „Schach von Wuthenow“ erschienen, in der der Erzähler Fontane die perfekte menschliche Unfähigkeit und historische Überlebtheit eines „Märkischen von Adel“ ad oculos demonstrierte.
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