Heft 
(1975) 21
Seite
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hatte, als typisch durchschauen, und der Kreis schließt sich, wenn man jenem konservativen Credo von 1860 ein anderes von 1894 gegenüber­stellt:Ich werde immer demokratischer, lasse höchstens noch einen richtigen Adel gelten den Adel der Gesinnung und des Herzens nämlich, wie er ihn mehr und mehr nur noch beimkleinen Mann fand und anerkannte. Und so gibt es auch zu der Eloge auf den Adel und der Geringschätzung derSchultzes und Lehmanns vom Jahre 1860 ein korrigierendes Pendant. Ebenfalls 1894 gesteht Fontane in einem Brief an Georg Friedlaender:Von meinem vielgeliebten Adel falle ich ' mehr und mehr ganz ab, traurige Figuren, beleidigend unangenehme Selbstsüchtler von einer mir ganz unverständlichen Borniertheit... Sie müssen alle geschmort werden. Alles antiquiert! Die Bülows und Arnims sind zwei ausgezeichnete Familien, aber wenn sie morgen von der Bildfläche verschwinden, ist es nicht bloß für die Welt, (da nun schon ganz gewiß), sondern auch für Preußen und die preußische Armee ganz gleichgültig, und die Müllers und Schultzes rücken in die leer gewor­denen Stellen ein. Mensch ist Mensch.

Dieses radikale Votum keiner augenblicklichen Verärgerung, sondern jahrzehntelanger kritischer Beobachtung und wachsender historischer Einsicht entsprungen wird in zahlreichen Äußerungen seit den sieb­ziger Jahren vorbereitet. Fontane hatte, wie er im Januar 1880 an Mathilde von Rohr schrieb,in dem Verkehr mit Hof und Hofleuten ein Haar gefunden; sie bezahlen nur mit ,Ehre, und da diese ganze Ehre auch noch nicht den Wert einer altbackenen Semmel für midi hat, so wird es mir nicht schwer, darauf zu verzichten. Was Wunder,, daß er sich nun Sommer 1881 in Thale geniert, dieKreuzzeitungzu zeigen oder gar in Gegenwart andrer zu lesen! Die veränderte Haltung färbt bereits auf den letzten Band derWanderungen ab und spiegelt sich vor allem im Schlußwort, das der Autor aus gutem Grund als kleinen politischen Essay verstand. Sein Verhältnis zu den Junkern war prekär geworden. Er fanddie Kerleunausstehlich und reizend zugleich und sah sich, wie er dem Verleger derWanderungen am 1. November 1881 bekannte, zu einem vertracktenMittelkurs zwischen Freisinnigkeit und Verbindlichkeit, zwischen Anerkennung des persön­lichen und gesellschaftlichen und Anzweiflung des politischen Menschen in unsrem Landadel gezwungen. In der Form vonWanderungen war ein solcherMittelkurs zwischen Gefühlstradition und geschichtlicher Erkenntnis gerade noch möglich, in der Epik nicht mehr. DieWande­rungen führenPflichttrampel und Dienstknüppel vor und zeigen, wie allerRuppigkeit und Unausstehlichkeit unbeschadet ausder / letzten Nummer Deutschlands seine erste werden konnte. Als Fontane mit diesen Formulierungen einen Werbetext zu denWanderungen entwirft, ist in derVossischen Zeitung bereitsSchach von Wuthenow erschienen, in der der Erzähler Fontane die perfekte menschliche Un­fähigkeit und historische Überlebtheit einesMärkischen von Adel ad oculos demonstrierte.

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