getragen hat. Wenn die „Wanderungen“ gelegentlich für Preußens Glanz und Gloria herhalten sollten, hat er sich — übrigens auffällig oft nach jenem „Unglücksjahr 76“ — energisch distanziert. Von „Mark-Verherrlichung“ könne keine Rede sein, schreibt er im Juli 1881 an seine Frau, und ein Jahr darauf führt ihn ein brieflicher Exkurs über den Adel (wiederum an Emilie gerichtet) zu folgendem bündigen Urteil: „ ... ich habe [in den „Wanderungen“] überall liebevoll geschildert, aber nirgends glorifiziert, nicht einmal meinen Liebling Marwitz. Ich habe sagen wollen und habe wirklich gesagt: .Kinder, so schlimm, wie ihr es macht, ist es nicht“, und dazu war ich berechtigt; aber es ist eine Torheit, aus diesen Büchern herauslesen zu wollen: ich hätte eine Schwärmerei für Mark und Märker. So dumm war ich nicht.“ Eine bedenkenswerte Selbstcharakteristik liefert der Autor auch in einem Brief an Wilhelm Hertz vom 27. Mai 1880. Er geht auf einen Artikel ein, den Otto Franz Gensichen über Fontane als den „Dichter der Mark“ veröffentlichte und in dem er sich über das versiflzierte Vorwort zur ersten Auflage von „Havelland“ ausgesprochen hatte. Er habe sich „über die Klugschmuserei“ geärgert, sagt Fontane und bemerkt: ,„Otto Franz“ [Gensichen] kennt mich persönlich und müßte wissen, daß, wer bei Percy und Douglas groß geworden ist, unmöglich ,Gatow, Flatow“ etc. [ein Reimpaar aus dem genannten Vorwort, das in einer besonderen Strophe märkische Dorfnamen aufeinander reimt] einem verehrungswürdigen Publikum als Poesie bieten will. Es ist eben Selbstpersiflage, zu der er sich in aufgestelzter Wichtigtuerei freilich nicht erheben kann. Ich und Mark- Bewunderung! Ich weiß, was gut dran ist, aber schwerlich hat sie je eipen strengeren Kritiker gefunden. Und wer richtig liest, der kann das auch finden.“
Dieses Zitat — erst seit der kompletten Publikation der Fontaneschen Korrespondenz mit Wilhelm Hertz im Jahre 1972 zugänglich — erschließt einen weiteren wesentlichen Aspekt für die Beurteilung der „Wanderungen“ : sie sind bei aller stofflichen und lokalen Beschränkung nicht das Werk eines „Heimatschriftstellers“. Wer sich den entscheidenden Unterschied zwischen liebevoller Schilderung und Glorifizierung so bewußt macht und wer vor allem mit „Percy und Douglas groß geworden“ war, sich also in der traditionsreichen englisch-schottischen Geschichte zu Hause fühlte und „die Fremde“ stets als Korrektiv gegenwärtig hatte — der ist für „Provinzialsimpelei“ verdorben. Fontanes tief eingewurzelte Liebe zur Mark (er bezeichnete sich sogar als einen „in der Wolle gefärbten Preußen“) wurde kontrolliert von seinem früh entwickelten Gefühl für die Dialektik zwischen Heimat und Welt. Das mag in seiner hugenottischen Herkunft und in den Swinemünder Jugendeindrücken mit begründet sein. 1890 heißt es rückschauend in einem Brief an Fried- laender: „...wie spießbürgerlich war mein heimatliches Ruppin, wie poetisch das aus bankrutten Kaufleuten bestehende Swinemünde, wo ich von meinem 7. bis zu meinem 12. Jahre lebte und nichts lernte. Fast möchte ich hinzusetzen, Gott sei Dank. Denn das Leben auf Strom und See, der Sturm und die Überschwemmungen, englische Matrosen und
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