sehen Adels, sondern vor allem eine Kulturgeschichte des Landes geworden sind. Den Beschreibungen der Herrensitze und Junkergeschlechter, der Heerführer und Regimentshistorien stehen die Landschafts- und Naturschilderungen und die Darstellungen aus der Geschichte märkischen Bürgertums und märkischer Städte zur Seite — die Kapitel über Gustav Kühn und seine Ruppiner Bilderbogen, über Paul Gerhardt und Albrecht Thaer, und Gentz und Schinkel. Fontane hat zwar — 1863 — einmal behauptet, daß ihm ganz und gar der bürgerliche Sinn fehle und ihn nur das Adlige interessiere; dies aber definierte er recht unkonventionell: „Ich verwahre mich übrigens feierlich dagegen, daß das, was ich ,adlig 1 nenne, bloß an der Menschenklasse haftet, die man ,Adel* nennt; es kommt in allen Ständen vor, es ist der Sinn für das Allgemeine, für das Ideale und die Abneigung gegen den Krimskrams des engsten Zirkels, dessen Abgeschlossenheit von selbst dafür sorgt, daß aus jedem P- ein Donnerschlag wird.“ Von einer durchaus progressiv-bürgerlichen Position aus, wie sie sich in dieser Bestimmung des „Adligen“ ausdrückt, fällt Fontane manch bemerkenswertes Urteil. So wird der „alte Zieten“ (so gut er, an seinem Nachfahren gemessen, wegkommt) in seiner historischen Leistung neben seinem Landsmann Schinkel gewogen und — zu leicht befunden: „Der ,alte Zieten* übertrifft ihn [Schinkel] freilich an Popularität, aber die Popularität eines Mannes ist nicht immer ein Kriterium für seine Bedeutung. Diese resultiert vielmehr aus seiner reformatorischen Macht, aus dem Einfluß, den sein .Leben für die Gesamtheit gewonnen hat, und diesen Maßstab angelegt, kann der .Vater unsrer Husaren* neben dem .Schöpfer unsrer Baukunst* nicht bestehen.“ Hier ist bereits — in der Frühzeit der „Wanderungen“ — angedeutet, was Fontane im Mai 1898 in einem Brief an Friedrich Paulsen resümierte: .groß ist doch schließlich nur, wer die Menschheit um ein
paar Kilometer weiterbringt.“
Mit dergleichen Vorstellungen korrespondieren die Verdikte über den Neuruppiner Spießer Michel Protz, den Schuldespoten Thormeyer, der jenen „Normalabiturienten oder den durch sieben Examina gegangenen Patentpreußen“ züchtete, den Fontane so ingrimmig haßte. Damit hängt andererseits aber auch der vorurteilsfreie Exkurs über die „Wenden in der Mark“ zusammen, der, schon Mitte der sechziger Jahre entstanden, sich in bewußtem Gegensatz zur diskriminierenden Lesart der offiziellen preußischen Geschichtsschreibung bewegt. Fontane weist entschieden die Legenden- von der angeblichen Treulosigkeit der „Wenden“ zurück, beschreibt liebevoll die versunkene altslawische Kultur und beleuchtet kritisch die deutsche Kolonisation. Überraschend sind auch die ironischen Betrachtungen, die er im Spreewald-Kapitel (das schon 1859 entstand, aber erst 1882 in den letzten Band aufgenommen wurde) über die künstlich forcierte „deutsche Amtssprache“ und ihr Verhältnis zum Sorbischen anstellt. Solche Bemerkungen über Probleme einer nationalen Minderheit stehen in direktem Zusammenhang mit ähnlich Verständnis-, ja liebevollen Äußerungen über die Tschechen, wie sie Fontane etwa in seinem Buch „Der deutsche Krieg von 1866“ eingestreut hat.
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