Heft 
(1975) 21
Seite
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Die demokratisch-humanistische Position, die sich in solchen beiläufigen Plädoyers ausspricht, bestimmt auch die Reportagen über die Torfstecher im Luch und die Ziegelstreicher in Glindow. Bei aller scheinbaren Objektivität dieser Abschnitte bleibt kein Zweifel, daß Fontanes An­teilnahme nicht den Torf- und Ziegellords gehört, sondern jenen, die unter unwürdigen Bedingungen den Reichtum der Bourgeoisie schaffen. Der Glindow-Aufsatz, 1869 entstanden, muß mit seinen Bemerkungen über denfrondiensthaften Industrialismus und über den Gegensatz zwischen den Unternehmervillen und den Arbeiterkaten zu den erstaun­lichsten Partien derWanderungen gezählt werden. Das Kapitel be­weist, wie der Blick auf dengemeinen Mann, den einfachen, arbeiten­den Menschen, dem Reporter Fontane interessante Perspektiven und neue Betrachtungsweisen ermöglichte.

Daß die Aufmerksamkeit für die Entwicklung desvierten Standes schon in der Zeit derWanderungen den Autor zu weitreichenden Überlegungen veranlaßte, zeigt auch eine Theaterkritik, die er unter dem Eindruck der Pariser Commune im Herbst 1871 in derVossischen Zeitung über ScribesFeenhände veröffentlichte. Darin bekannte Fon­tane:Wir gehören nicht zu denen, die die Menschheit erst vom Baron an aufwärts zu rechnen beginnen, wir haben mitunter ein leises Vor­gefühl davon, als würden wir unsere Tage nicht hier, sondern in Gegenden beschließen, wo es keine Herzoge und keine Grafen gibt, und wir glauben dabei des einen sicher zu sein, 'daß die Feudalpyramide mit zu dem letzten gehören dürfte, was wir da drüben wirklich ent­behren würden. ... Die Welt liegt in Wehen; wer will sagen, was geboren wird! Der Sturz des Alten bereitet sich vor. Gut, die Dinge gehen ihren Gang, tut eure Maulwurfsarbeit, ihr, die ihr unten seid. Die Rezension verstrickt sich schließlich in Widersprüchen, aber das Interesse, ja die heimliche Sympathie für die,die ihr unten seid, bleibt. So ist auch jene Hauptstelle im Vorwort zur zweiten Auflage des ersten Bandes derWanderungen zu verstehen, das unter den Rat­schlägen für Reisen in der Mark auch diesen enthält:Das Beste..., dem du begegnen wirst, das werden die Menschen sein, vorausgesetzt, daß du dich darauf verstehst, das rechte Wort für den ,gemeinen Mann* zu finden. Verschmähe nicht den Strohsack neben dem Kutscher, laß dir erzählen von ihm, von seiner Soldaten- oder seiner Wanderzeit, und sein Geplauder wird dich mit dem Zauber des Natürlichen und Lebendigen umspinnen'.

Das empfahl Fontane im Sommer 1864, und die Äußerung ordnet sich organisch in die staatliche Reihe von Bekenntnissen ein, in denen er sein Verhältnis zumvierten Stand zu klären und zu bestimmen suchte. Er hat ja nicht nur als Höhepunkt seiner Erkenntnisse 1896 brief­verborgen gestanden, daß für ihn alles Interesse beimvierten Stand ruhe; er hat 1898 imStechlin auch drucken lassen, daßin ihrem vernüftigen Kern dieganze Sache darauf hinauslaufe,ob sich der vierte Stand etabliert und stabilisiert. Die Geschichte hat diese Frage­stellung des welterfahrenen Grafen Barby die weithin auch die des

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