Heft 
(1975) 21
Seite
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Ideen und Begriffen zu verfolgen, ohne daß er je ernsthaft versuchte, die ideologischen Prozesse in ihrem Zusammenhang mit sozialökono­mischen und politischen Vorgängen zu begreifen. Statt dessen läßt es sich Greter angelegen sein, seine idealistische Position und seinen davon untrennbaren Antimarxismus nachdrücklich zu betonen und verschie­dentlich gegen die marxistische Fontane-Forschung, besonders gegen Hans-Heinrich Reuter und Joachim Biener, zu polemisieren. Durch ein solches Herangehen an seine Aufgabe hat Greter selbst den Wert seiner Arbeit stark herabgesetzt. Denn das an sich fleißig gesammelte Material ist zum guten Teil unzureichend .verarbeitet. So ist z. B. das Kapitel Der Tendenzbegriff (S. 4857) unbrauchbar. Denn die tendenziöse Dichtung, die Greter der Tendenzpoesie entgegensetzt, gibt es nicht, weil kein Dichter schreiben kann, ohne einen bestimmten Standpunkt einzunehmen. EineKunst nur als Kunst (S. 54) ist objektiv nicht möglich.

Irreführend ist auch der Gegensatz zwischendichterisch undaußer­dichterisch (S. 57), mit dem Greter (z. T. unter unkritischer Verwendung von Äußerungen Fontanes) arbeitet und der auf eine Trennung des Formalästhetischen vom Inhalt bzw. der (Welt-)Anschauung hinausläuft. Diese Mißgriffe Greters sind die unausbleibliche Konsequenz seiner idealistischen Enstellung und Methode, die ihn dazu veranlassen, Kunst und Leben und erst recht Kunst und Politik als absolut für sich beste­hende Sphären zu betrachten, die durch nichts miteinander verbunden sind.

In zweiter Linie ist kritisch zu vermerken: Greter hat seiner Arbeit den TitelFontanes Poetik gegeben, aber das, was sie bietet, hieße richtigerFontanes poetische Theorie.

Zwar ist der Entscheidung des Autors, nuraußerdichterische Texte, Essays, Buchrezensionen, Theaterkritiken, private Aufzeichnungen und Briefe (S. 13), als Material für seine Untersuchung heranzuziehen, durch­aus zuzustimmen. Denn die poetologischen und ästhetischen Äußerungen, die wir in den dichterischen Werken finden, sind schwer verwertbar, da meist nicht mit Sicherheit auszumachen ist, ob das, was eine Roman­gestalt sagt, auch unbedingt und ohne Einschränkung Fontanes Meinung entspricht. Nicht zustimmen kann man indessen dem Verzicht des Autors auf einen Vergleich von Fontanesästhetischer Theorie mit dessen dichterischer Praxis (S. 14). Wir glauben, es war ein schwerwiegender Fehler, diese (um einen Ausdruck Bruno Markwardts 1 zu benutzen) werkimmanente Poetik zu übergehen. Es gibt für unsere Auffasung eine Reihe von Gründen: Gerade bei Fontane steht die Theorie hinter der Praxis, d. h. dem dichterischen Schaffen, beträchtlich zurück (das weiß Greter genau; vgl. S. 14, 103), Fontanes Stellungnahmen zu Fragen der Poetik und der Literaturtheorie sind nicht zahlreich, manchmal äußerst spärlich, außerdem z. T. beiläufig abgegeben und daher zufällig. Sie gehören in verschiedenartige Zusammenhänge und berücksichtigen un­terschiedliche Gesichtspunkte, was ihre systematische Erfassung (an die Fontane nie gedacht hätte!) erschwert, ganz abgesehen davon, daß Fon-

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