tanes Auffassungen sich im Laufe der Zeit geändert haben. Es wäre daher erforderlich gewesen, Fontanes Poetik auch anhand seiner dichterischen Werke zu erforschen und nicht nur auf grund seiner theoretischen Äußerungen.
Unser dritter Einwand betrifft das unhistorische Vorgehen Greters, der nicht genügend zwischen dem jungen, dem mittleren und dem alten Fontane unterscheidet und im wesentlichen so verfährt, als hätten sich Fontanes Auffassungen nur in einigen Einzelheiten entwickelt.
Schließlich meinen wir viertens, daß es gerechtfertigt war, den Schwerpunkt der Darstellung auf die einzelnen „ästhetischen Kategorien“ (S. 14) zu legen. Aber das mußte nicht heißen, daß auf Kapitel zur Gattungspoetik überhaupt verzichtet werden konnte. Zumindest vermißt man eine zusammenhängende Behandlung der epischen Formen (Roman, Erzählung, Ballade) und der Lyrik 2 . Dagegen hätten die Abschnitte II und IV vereinigt werden können, denn sie überschneiden sich, so daß der Abschnitt IV z. T. Wiederholungen aufweist.
Welchen Wert behält die Arbeit Greters angesichts so gravierender Mängel?
Sie zeigt die eine, weniger bedeutende Seite des Phänomens, den Theoretiker Fontane, der in vielen Punkten über die gängige und landläufige « Literaturtheorie der bürgerlichen Realisten des 19. Jahrhunderts nicht hinausgekommen ist, ja, sie oft nur auf ihrem Durchschnittsniveau rezipierte und wiedergab, so daß seine Auslassungen, wie Greter mehrmals betont, zuweilen nicht originell sind. Ihrem Inhalt nach stellt diese Theorie eine der Wirklichkeit stärker angenäherte Version der klassischen deutschen Literaturästhetik dar, die bei den bürgerlichen Realisten säkularisiert, des metaphysischen Ballasts entledigt und auf diese Weise den ideologischen Bedürfnissen des aufsteigenden deutschen Bürgertums angepaßt wurde. Es ist ein Verdienst Greters, daß er, um das nachzuweisen, nicht nur die Schriften Fontanes, sondern auch Zeugnisse von Gustav Freytag, Paul Heyse, Gottfried Keller, Otto Ludwig und vor allem von Julian Schmidt verwendet 3 und damit die prinzipielle Übereinstimmung des Theoretikers Fontane mit zeitbedingten Auffassungen gezeigt hat. Dennoch steht Fontane als Theoretiker so in keinem vorteilhaften Licht.
Es ist nicht das Recht des Rezensenten, künftiger Forschung vorzugreifen.
Er darf aber seine Überzeugung äußern, daß, wenn man beide Seiten des Phänomens untersucht, also auch Fontanes dichterische Werke auf seine Poetik hin befragt und wenn man sich dabei einer wissenschaftlich begründeten Methode bedient, das Ergebnis für den Dichter günstiger und damit gerechter ausfallen und seine Theorie dann in etlichen Punkten eine andere Interpretation verlangen wird. Erst unter diesen Bedingungen kann der kritische Realist Fontane zur Geltung kommen.
— Dr. Joachim Krueger —
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