Heft 
(1976) 23
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gesängen 4 , und für das Scherenbergbuch 5 , das mich so lebhaft in gute alte Zeiten zurückversetzt hat. Leugnen kann ich nicht, daß es mir etwas zu sehr den Charakter einer Publikationfür Freunde trägt. Wer kein Tunnelgenosse 6 war, möchte wohl eine deutlichere Charakteristik mancher Personen und Zustände wünschen, und vor allem in der eigentlichen ästhetischen Würdigung des Mannes selbst hast du uns gar zu kurz ab­gefunden, sogar hauptsächlich durch Vorführung fremder Zeugen. Das Große, Absonderliche, Geschmacklose, Verblüffende und Barocke seiner Muse kommt in deiner Darstellung nicht recht zur Anschauung oder Er­klärung, und da man in Süddeutschland so gut wie nichts von ihm weiß und selbst in Preußen dieses wunderliche Phänomen so rasch wieder erblichen ist, wäre es wohl gut gewesen, seine Signatur schärfer und im Zusammenhänge mit zeitgenössischenHauptströmungen zu zeichnen. Nichts für ungut, mein Alter. Ich schreibe dir das, wie ich dirs sagen würde, wenn wir unter 4 Augen oder im Rütli 7 uns gegenübersäßen. Bei deiner intimen Vertrautheit mit deinem Helden ist es kein Wunder, daß du die richtige Distanz von ihm nicht hast finden können.

Ich bin inzwischen fleißig gewesen, um im Herbst wieder einen Vor­wand zu einem Besuch bei Euch zu haben; ein drolliger Hang meiner Natur, das zu treiben, was mir immer Pein und Qual schafft, da selbst ein geglücktes dramaturgisches Abenteuer mir mehr Kummer als Ver­gnügen macht und ich so gern ohne alle erschwerende Umstände einmal wieder durch die Potsdamer Straßen wandelte. Aber der Dämon treibt mich. Und vielleicht profitiert endlich doch auch das deutsche Theater etwas von meinen Nöthen.

Du bist hoffentlich längst wieder auf den Beinen. Von deinem oesterr. Roman 7a habe ich noch nichts zu sehen bekommen. Das muß ich mir für die Sommerferien aufsparen. Zunächst soll gehochzeitet werden, 8 dann will ich sehen, ob ich meine arme Frau wieder so jung wie ihre Jahre machen kann. An deine Damen das Herzlichste von uns beiden und dir einen Händedruck deines alten ewigen

München.

8. Apr. 85 Paul Heyse

Erwiderung Fontanes auf Heyses Kritik:

Habe Dank für Deine freundlichen Worte über Jung-Bismarck und das Scherenberg-Buch. In bezug auf das Gedicht heißt es:Was gemacht wer­den kann, wird gemacht; es ist rund und nett herausgekommen, aber eigentlich doch nur Blech. Von Deinem Bismarck-Zweigespann zieh ich den, der im Geschirr vonNord und Süd ging, dem andern vor.

Und nun Scherenberg! Es ist ja alles richtig, was Du schreibst, aber ich konnte nicht gut anders. Ich erhielt eine Fülle von Briefmaterial und tat meine eignen Erinnerungen hinzu. Und nun ging es los. Hätte ich nicht aus der Erinnerung heraus geschrieben, so hätt ichs überhaupt nicht schreiben können; ich vermied, auch nur eine Zeile aus seinen großen

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