Heft 
(1976) 23
Seite
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Denn interessant und aufschlußreich ist bereits die Auswahl der Stoffe. Was kam alsStoff überhaupt infrage? Aber ebenso wichtig ist es dann zu verfolgen, wieweit der Entwurf Gehalt und Gestalt des geplanten Werkes erkennen läßt. Unter diesen Gesichtspunkten sei hier einiges über die vier Entwürfe bemerkt. Außerdem soll versucht werden, die Entstehungszeit der Entwürfe zu bestimmen.

Der erste, zehn Blatt umfassende Entwurf,Leutnant Maier (in der zweiten Fassung schreibt Fontane: Mejer), erinnert uns, was den Stoff angeht, an die zwischen 1878 und 1882 entstandene ErzählungSchach von Wuthenow. Hier wie dort ein Selbstmord aus nichtigen Gründen. Schach von Wuthenow erschießt sich aus Furcht hauptsächlich vor dem Gelächter der Gesellschaft, in der allein er zu leben vermag und deren Anerkennung er benötigt. Maier macht seinem Leben ein Ende, nachdem er sichunsterblich blamiert hat und seinkrankhaft gereiztes und hinaufgeschraubtes Ehrgefühl zutiefst verletzt worden ist. Allerdings ist das Motiv, das Maier zum Selbstmord treibt, ungleich läppischer als das Schachs. Doch auch Maiers verzweifelte Anstrengungen, seine altadlige Herkunft zu erweisen, seine Sucht, die Welt zu verbessern, und sein Verlangen, große Entdeckungen zu machen, haben etwas Komisches an sich, so daß der pathologische Zug, der Schach und Maier anhaftet, bei Maier ins Lächerliche und Skurrile abgleitet.

Lächerlich ist z. B. Maiers Versuch, Farbe und Ruhm in ursächlichen Zusammenhang zu bringen. Skurril sind zumindest etliche von den literarischen Themen, mit denen er sich beschäftigt. Zum Teil allerdings geht es um bekannte, mehr oder minder skandalöse Liebesgeschichten am brandenburgisch-preußischen Hofe; eine davon hat Fontane sogar selbst behandelt (Frau von Wreech). Aber Maier greift auch Belangloses wie orthographische Abweichungen auf, da sie ihm einer genauen Unter­suchung wert zu sein scheinen.

Es liegt auf der Hand, daß diese Lächerlichkeit der Handlungen und Absichten Maiers den gesellschaftskritischen Gehalt des Stoffes herab­mindert. Wenn Schachs Selbstmord auf die Veräußerlichung und Aus­höhlung bestimmter gesellschaftlicher Normen hinweist, so setzt in dem vorliegenden Entwurf lediglich ein Sonderling seinem Leben ein Ende, der außerhalb der Gesellschaft gestanden bzw. sich gegen sie gestellt hat und daran gescheitert ist. Nur Maiers Adelsambitionen und seine Schießwut setzen echte gesellschaftskritische Akzente.

Von den vier Entwürfen ist dieser am weitesten ausgeführt. Die Haupt­gestalt beginnt, ein festes und deutliches Profil anzunehmen. Sie ist unter den Händen des Dichters auf dem Wege, Individualität zu gewin­nen. Die anderen Gestalten sind nur angedeutet, eine (Leutnant von Zwieckerström) wird mit Namen genannt. Die Umwelt, in der Maier sein Wesen treibt, sucht Fontane in zwei verschiedenen Fassungen zu schildern, indem er in der ersten Fassung zwei Erzähler zu Wort kom­men läßt und mit Maiers Begräbnis beginnt, in der zweiten sofort

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