Heft 
(1976) 23
Seite
494
Einzelbild herunterladen

einen Erzähler einführt, der von seiner Bekanntschaft mit Mejer berichtet.

Die Darstellung ist z. T. breiter ausgeführt, z. T. begnügt sich Fontane mit Stichworten, oder er bringt die Überlegungen zu Papier, die er selbst bei Beginn der Arbeit an dem Stoff angestellt hat. Solche Überlegungen begegnen sich auch im zweiten und dritten (nicht im vierten) Entwurf; sie haben den Charakter von Anweisungen, die der Dichter sich selbst für die weitere Arbeit gibt, und legen fest, in welcher Weise einzelne Textstellen auszuarbeiten sind.

Eine genaue Feststellung der Entstehungszeit ist nicht möglich, aber ein ungefährer terminus post quem kann genannt werden. Er ergibt sich aus der Erwähnung des Kutschkeliedes und des Streites darum. Da das Kutschkelied im Sommer 1870 entstanden ist und der Streit sich min­destens bis Anfang 1872 hinzog, so kann man annehmen, daß der Entwurf nicht vor Anfang 1872 geschrieben worden ist.

Was den zweiten Entwurf,Die Bekehrten, angeht, so wissen wir heute, daß das Problem, um dessen Lösung Fontane sich darin bemühte, nicht lösbar war, weil die Frage zu dem Zeitpunkt, da sie gestellt wurde, bereits überholt war. In einer Situation, in der die Kraft der Arbeiter­klasse immer deutlicher spürbar wurde und die Reaktion den Versuch machte, sie durch das hier am Schluß erwähnte Sozialistengesetz einzudämmen, war das Problem einesMittelkurses zwischen dem alten Regime, den Konservativen, und demFortschritt bzw. der Freiheit (im Sinne des Liberalismus) gegenstandlos. Fontane allerdings glaubte, als er den Entwurf niederschrieb, daß es einegoldene Mitte zwischen den Extremen, den Interessen des Adels und denen des Bür­gertums, geben müsse. In diesem Glauben widerspiegelt sich sowohl der tatsächliche Klassenkompromiß zwischen den Resten des Feudalismus und der Bourgeoisie im damaligen Deutschland wie auch Fontanes in dieser Zeit noch nicht überwundene Grenzstellung 45 , die ihm vorerst erlaubte, seine Position als bürgerlicher Schriftsteller mit einer (damals nicht nur ästhetischen) Vorliebe für den Adel zu verbinden 46 . Der illu­sionäre Charakter dieser zwiespältigen Orientierung tritt in der Anti­nomie zu Tage, mit der der Entwurf endet: Fontane besteht auf der Möglichkeit jenergoldenen Mitte, er meint in ihr dieWahrheit zu finden, und er sieht sich dennoch angesichts der eindeutigen Lehre, die die Anekdote erteilt vor ihrgewarnt. Er kommt daher zu keiner Entscheidung.

Der Entwurf veranschaulicht eine Station, die Fontane auf dem Weg vom Mitarbeiter derKreuz-Zeitung zum Theaterkritiker derVossi- schen Zeitung passieren mußte, um später zumal in den neunziger Jahren ideologisch und politisch jeden Gedanken an ein Zusammen­gehen mit dem (Land-) Adel von sich zu weisen und zugleich eine kritische Haltung zur Bourgeoisie einnehmen zu können.

Im einzelnen fällt auf, daß derFortschritt als eine Sache der Theorie charakterisiert wird und der Professor einIdealist undSchwärmer

494

I