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Dem Schriftsteller, der einen „stillen, belächelten Weg“ gegangen ist, also wohl einem Menschen ohne Titel und Orden, ohne Beruf und Amt, wird einer jener scheinbar Glücklichen gegenübergestellt, die auf der Leiter des beruflichen und gesellschaftlichen Erfolges in die Höhe gestiegen sind und zu den „Stützen der Gesellschaft“ gehören. Der adliche Landrat und Rittmeister nennt all das sein eigen, was der arme Poet, wiewohl er sich als Tyrtaios betätigt hat, eben nicht besitzt und kaum je erlangen wird. Heißt das, daß der eine im Glück und der andere glücklos lebt?
Diese Frage gibt Anlaß, eine weitere Frage aufzuwerfen, nämlich die, worin das Glück eigentlich besteht. Daß es nicht im „Reichtum“, also in Geld und Gut, zu suchen ist, steht für Fontane außer Zweifel. Aber etwa im „reichen Leben“, d. h. in der gehobenen und geachteten gesellschaftlichen Stellung? Fontane wagt diese Frage nicht einfach zu verneinen. Aber er bejaht sie auch nicht unbedingt. Dieses Ja und Nein zugleich könnte vermuten lassen, daß nach Fontanes Meinung mit Sicherheit nicht feststellbar sei, worin das Glück besteht, wenn man es nicht gerade negativ definieren („frei“, „bedürfnislos“) oder es allein im Ethischen suchen will („reines Gewissen“). Denn das „reichste Leben“ kann glücklos sein, während ein „Lied“ vielleicht „unendliche Frucht“ tragen kann.
Allerdings endet Fontane bei einer gewissen Resignation und einer Art von Schicksalsergebenheit („Auch hier ist alles Gnade“). Aber das schließt einen Aufruf zur Aktivität und zur Bewährung keineswegs aus: „Jeder an seinem Platz. Wo man steht, tue man sein Bestes.“
Und das ist die entscheidende, in ähnlicher Formulierung öfter ausgesprochene Überzeugung Fontanes. Nach seiner damaligen Auffassung beruht das Glück darauf, daß zwei Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens muß man die Position finden, die den eigenen Fähigkeiten und Neigungen (der eigenen „Natur“) entspricht. Zweitens muß man an seinem so gewählten Platz etwas Tüchtiges leisten. Verglichen damit ist alles andere bedeutungslos. In diesem Sinne heißt es in dem 1877 bis 1878 entstandenen Entwurf „Allerlei Glück“: „Es ist ganz gleich, wo man im Leben steht, nur voll und ganz und freudig muß man an seiner Stelle stehn.“ Allerdings kann das nur gelingen, wenn man die eigne Position richtig zu wählen weiß: „Daß man die rechte Stelle trifft, darauf kommt es an. Die rechte Stelle ist allemal auch die gute“ 50 .
Den ersten Grundsatz bekräftigt Fontane noch einmal in einem Brief an Gustav Karpeles vom 3. 4. 1879, indem er schreibt: „Es gibt vielerlei Glück, und wo dem einen Disteln blühn, blühn dem andern Rosen. Das Glück besteht darin, daß man da steht, wo man seiner Natur nach hingehört. Selbst die Tugend- und Moralfrage verblaßt daneben“ 51 . Auch in „Effi Briest“ (enstanden 1888 bis 1894) hält Fontane daran fest, das Glück liege darin, „daß man ganz da steht, wo man hingehört“, obschon er hinzufügt, daß zum Glück auch ein „behagliches Abwickeln des ganz Alltäglichen“ unerläßlich sei, nämlich „daß man ausgeschlafen hat und daß einen die neuen Stiefel nicht drücken“ 52 .
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