Heft 
(1976) 23
Seite
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gebunden ist, verdeutlicht sich in dem Motiv, das Peter Demetz als das des Fluges, bezeichnet. Die erste Erscheinung davon veranlaßt die Gym­nastik Effis, bei der sie die Hände hochstreckt und von ihrer Mutter Tochter der Luft getauft wird. Weil sie so gernoben in der Luft ist, freut sie sich auch auf den Mastbaum, den ihr Vater ihr versprochen hat. Als Effi mit ihren Kameradinnen Anschlag spielt, ruft sie ihnen beim Weglaüfen zu:Rasch, rasch ich fliege aus... Fliegen liegt ihr mehr als das langweilige Laufen. Sie empfindet diefliegende Bewegung der Schlittenfahrt mit Innstetten himmlisch. Sie verabscheut die Schutzleder eines Schlittens, denn wie sie zu Sidonie von Grasenabb nach dem Weih­nachtsfest beim Oberförster sagt:Ich kann die Schutzleder nicht lei­den ... Und dann, wenn ich hinausflöge, mir wär es recht, am liebsten gleich in die Brandung. 6 Fliegen beinhaltet auch Gefahr. Vor der schick­salhaften Schlittenfahrt mit Crampas, wodurch sie ins Unheilfliegt, liegt in diesen Worten eine verhängnisvolle Bedeutung. In der Dämmer­stunde ihres Lebens ist Effi von dem Aufsteigen immer noch fasziniert, so wie sie als Kind gerne kletterte: Bei ihren Spaziergängen kurz vor dem Todefolgte sie dem Auf steigen der Lerchen, was ihre Gedanken auf ein endgültiges Steigen richtet, denn sie hatte ja zu Niemeyer nach ihrem Schaukeln gesagt:Ach, wie schön es war und wie mir die Luft Wohltat; mir war als flog ich in den Himmel. Das Luftbedürfnis, das sie besonders am Ende ihres Lebens empfindet, läßt sich auch symbolisch interpretieren: Sie braucht eine vollkommene Luftveränderung; ihr Luft­bedürfnis kann nicht mehr im irdischen Bereich befriedigt werden, denn die Erde ist ihr zu eng geworden. Erst als sie zum letzten Male die kühle Nachtluft einsaugt, überkommt sie ein Gefühl der völligen Befreiung und Ruhe.

Ein Teil, ein anderer Faden des Schaukel- und Flugmotives, ist der des Zuges. 7 Von Zügen fühlt sich Effi sehrangezogen, wie sie selbst am Anfang des 11. Kapitels sagt:Ich sehe so gern Züge. Obwohl der Zug zu dieser Gelegenheit Sehnsucht nach Hohen-Cremmen hervorruft, kann man die Tatsache ihrer allgemeinen Neigung nicht verleugnen. Der Zug nach Kessin führt Effi in ein neues Leben hinein, dessen volle Bedeutung sie selbst gar nicht ahnt. Nach ihrer Verstoßung kann sie von ihrer klei­nen Wohnung aus auf die verschiedenen Bahndämme schauen und seihen, wie es da beständig hin- und hergleitet. Am Ende ihres Lebens beob­achtet Effi Züge immer noch mit Vorliebe. Auf ihren täglichen Spazier­gängen macht sie Rast gerade dort, wosie das Treiben auf dem Bahn­damm verfolgen konnte; Züge kamen und gingen... Den Zug verbindet Effi mit dem Beständig-Wechselnden; im Zuge als solchem sieht sie die Möglichkeit, der gegenwärtigen Lage zu entfliehen; der Zug symbolisiert für sie Freiheit und Ungebundenheit, genau wie die Schaukel, an der sie, alsTochter der Luft so sehr hängt.

Die Vorstellung des Zuges enthält nicht nur die Kernidee eines allgemei­nen Entfliehens, sondern auch das Entfliehen aus dem Alltäglichen, aus der Langeweile: Züge führen in ein anderes Land, in eine andere Gegend, in etwas Neues, Exotisches hinein, was EffisHang nach Spiel und Aben-

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