damer Fontane-Archiv. Einige der in den AzL erstmals veröffentlichten literaturkritischen Urteile, so die interessanten Stellungnahmen'zur „Marquise von O...“, zum Briefwechsel zwischen Goethe und Schiller, zu Arthur Schopenhauer und zu Smollet und Lawrence Sterne, waren, zu- sammer^mit ausgewählten Briefen vor allem an Julius Rodenberg, bereits 1961 in „Sinn und Form“ im Doppelhaft 5/6 abgedruckt worden. Joachim Krueger teilte 1972 in den FB, wiederum aus dem Potsdamer Archiv, kommentiert drei bisher unbekannte literaturlheoretische Entwürfe Fontanes mit, darunter die stark bekenntnishafte Vorstufe zum Aufsatz von 1891 über „Die gesellschaftliche Stellung der Schriftsteller“. Nun liegt auch der zweite Teilband der „Literarischen Essays und Studien“ der Nymphenburger Ausgabe vor. Den ersten, 1963 erschienenen Teilband XXI, 1, der auch bisher unbekanntes Material darbot, hatte der um die Fontane-Philologie, vor allem auch um die Entdeckung bisher unbekannter Texte zur Literatur hochverdiente Kurt Schreinert noch selbst herausbringen können. Sein Tod im Jahre 1967 verzögerte die Entstehung des zweiten Teiles, der unter Verwertung Schreinertscher Materialien und Hinweise von Rainer Bachmann und Peter Bramböck unter beratender und auktorialer Mitarbeit Hans-Heinrich Reuters ediert wurde. Neben dem Neudruck bisher vergessener Arbeiten Fontanes, z. B. über Victor Hugo, Fritz Mauthner, Peter Rosegger oder über Otto Brahms Schiller- Buch, hat der über 1000 Seiten umfassende zweite Teil in hohem Maße, nämlich auch für Teil 1, Kommentarcharakter. Teil 2 bringt zwar mehr als 150 Literaturstudien Fontanes, davon zwei Drittel erstmals in Buchform, seine zweite Hälfte (ab S. 471) ist jedoch ganz der Kommentierung, dem Nachwort, dem Bericht der Herausgeber, Erläuterungen und Anmerkungen, dem Nachweis der Fundorte sowie dem Namen- bzw. Ortsund Werkregister für beide Teilbände Vorbehalten.
Das auf Knotenpunkte und Widersprüche orientierte, elegant geschriebene Nachwort zeigt Hans-Heinrich Reuter auf einer neuen, transparenten Stufe seiner dichten immanenten Fontane-Kenntnisse und seines entwicklungshaften Fontane-Verständnisses. „Das Bemühen um Selbstverständigung“ (2,488) erscheint als wesentliche Triebkraft für die Reifung des literaturkritischen Urteils und als Grundlage für die „künstlerische Integration der Kritik in die Theorie und Praxis des Realismus“ (2,494) durch den reifen Fontane, kn Unterschied zu den praktisch isoliert bleibenden Arbeiten von 1844 und 1853! Es bleibt jedoch zu fragen, ob die Thesen von der „Zurücknahme der Reduzierungen des realistischen Programms“ (2,490,493) und des „Durchbruchs zum Eigentlichen“ 1 Fontanes Entwicklung nicht auch einschränken, zumal dem Ausgangsaufsatz „Über unsere epische und lyrische Poesie seit 1848“ letztlich ein enger und oberflächlicher, ja formaler Realismus-Begriff zugrundeliegt, was übrigens Reuter selbst andeutet. Wie wäre sonst auch zwei Jahre später das Lob eines so unrealistischen apologetischen Romans wie „Soll und Haben“ möglich gewesen? 2
Der Anmerkungsteil ist bei aller Verdienstlichkeit zu breit geraten. Abgesehen davon, daß kaum ein Leser diese Bände in die Hand nehmen
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