Heft 
(1976) 23
Seite
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stände christlicher Dogmen. Anders steht es mit der christlichen Kirche und ihren Geistlichen. Da sie nun einmal zu der gesellschaftlichen Wirk­lichkeit, die Fontane darstellte, hinzugehörten, so konnten sie schlechter­dings nicht eliminiert werden. Indes übernahm sie Fontane nicht aus Überzeugung, sondern aus Konvention. Und es ist die Vermutung nicht von der Hand zu weisen, daß es zumindest dem älteren Fontane mit den Geistlichen ähnlich erging wie mit den Adligen. Während er sie vom poli­tischen Standpunkt kritisierte, behielten sie doch einen ästhetischen Reiz für den Dichter.

Die Pfarrer in Fontanes Romanen und Erzählungen vertreten eine hu­mane, nicht mehr metaphysisch begründete Ethik, in der (wie das Ester S. 45 und 98 an Seidentopf inVor dem Sturm und an Lorenzen in Der Stechlin zeigt) dieBeziehung auf den Kreuzestod Christi und da­mit auf diesen überhaupt zurücktritt oder gar fehlt. Sie sprechen nicht gern vonErlösung undUnsterblichkeit. Daß diese humanitäre, nur noch äußerlich religiöse Einstellung vpn Fontane selbst gebilligt, ja, ge­fordert wurde, entnehmen wir der kurzen NotizPastor Windel im Lichte der Dienstagsgesellschaft, die vor Ende 1890 entstanden und als Anhang zumWangenheim-Kapitel gedruckt worden ist.

Fontane berichtet darin über den ihm bekannten Pfarrer an der Pots­damer Friedenskirche und gesteht, daß er Windel schätze wegen seiner grundsätzlichen Auflehnung gegen das bloß Herkömmliche und Paten­tierte. Diese Auflehnung besteht nach Fontanes Auffassung in folgen­dem: Windellöst, kurz gesagt, die Heilsfrage von jeder andern, und das scheint Fontanedas allein Richtige. Windel, so sagt der Dichter, bestreitet den Satz, daß schöne Menschlichkeit, wahre Humanität, ja, selbst wahre Sittlichkeit erst von der Geburt des Heilands an datiere.

Sie seien schon vorher, zumal bei den Griechen, dagewesen. Das Neue an der christlichen Religion war nach Windel nur dies:Der Heiland brachte eben das Heil. Cest tout! Das abweis'endeCest tout! (Das ist alles!) erläutert Fontane mit der Feststellung:Das Heil aber ist eine Jenseits-, nicht eine Diesseitsfrage.

In diesem Satz liegt der Kern derreligiösen Anschauungen Fontanes beschlossen. Ihn interessierten die Diesseitsfragen. Jensedtsfragen ließ er unerörtert. Mit Christentum, sofern man darunter eine Erlösungsreligion / versteht, dürfte das nicht mehr viel zu tun haben.

Die Pfarrer sind daher bei Fontane vor allem Träger einer ethisch fundierten Menschlichkeit und Bildung, die Kirche aber stellt für ihn eine in die Gesellschaft integrierte, mithin durchaus weltliche Einrichtung dar. Als solche bezieht Fontane sie in seine Dichtungen ein. Wenn man aber Fontanes dichterische Werke daraufhin durchforscht, so muß man im Auge behalten, daß Fontane auch hier wie etwa bei seiner Stel­lungnahme zur Arbeiterklasse - in den nicht-dichterischen Dokumenten, so in der eben zitierten Äußerung über Windel und vor allen Dingen in seinen Briefen, ein relativ höheres theoretisches Niveau erreicht hat als in den dichterischen Werken. Aus den Briefen geht, was hier im einzelnen nicht nachgewiesen zu werden braucht und auch von Ester

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