Heft 
(1976) 23
Seite
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z. T. belegt wird, klar hervor, daß Fontane von religiösen Handlungen wenig hielt und daß er in seinen späten Jahren die reaktionäre Funktion der evangelischen Geistlichkeit im damaligen Preußen scharf verurteilte. Es ist aber wohl nicht so, wie Ester (S. 10) meint, daß Fontane diese bedingungslose Ablehnung im Erzähl werküberwindet. Wir würden sagen, er hat sich auf das theoretische Niveau der Briefe in seinen epischen Werken nicht mehr zu erheben vermocht.

Es ist zu bedauern, daß Ester solche grundlegenden Tatsachen nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt und damit den Geistlichen bei Fontane, wie uns scheint, eine gewichtigere Rolle zuweist, als ihnen gebührt.

Zweifellos hat Ester im ersten Teil seiner Arbeit, derDer Patron und sein Pfarrer überschrieben ist, in verdienstvoller Weise auf das Patro­nat in Preußen und die sich daraus für den Pfarrer ergebenden Pflichten aufmerksam gemacht. Dieser Aspekt sollte gemäß dem von Ester unterbreiteten Material künftig mehr beachtet werden. Das eng damit verbundene Problem der sozialen Funktion des (Land-)Pfarrers wird von Ester breit, aber sehr global erörtert. Es genügt u. E. nicht festzu- steleln, daß der evangelische Geistliche inder Gesellschaft bestimmte Aufgaben zu erfüllen hatte, sondern die jeweilige Gesellschaft hätte auf ihre klassenmäßige Zusammensetzung hin analysiert werden müssen, um dann die Frage der sozialen Funktion des Pfarrers konkreter stellen zu können. Wenn Ester schreibt, die Religion stehein Berlin, im Gegen­satz zu den Patronatsverhältnissen der Mark Brandenburg, nicht primär unter dem Diktat einer gesellschaftlichen Gliederung (S. 10), so gesteht er selbst zu, daß diegesellschaftliche Gliederung Religion und Kirche in Dienst nahm. Wir übergehen den Unterschied, den Ester zwischen den Verhältnissen in Berlin und denen in der Mark Brandenburg macht und der in dieser Form kaum bestanden haben wird, und fragen viel ­mehr: Welcher Art war diegesellschaftliche Gliederung?

An der nötigen Konkretheit fehlt es jedoch auch im 2. Teil der Arbeit, derDie Sprache als Spiel- und Wirkungsraum des Geistlichen behan­delt (ihm folgt das Schlußwort). Wir können hier Ester den Vorwurf einer Mythisierung des Stoffes und der Terminologie nicht ersparen. Denn was soll der Titel des ersten Kapitels des 2. Teiles,Sprache versus Schicksal; Fontanes vier Schicksalsromane, bedeuten? (Gemeint sind ,,Grpte Minde,Ellernklipp,Unterm Birnbaum undQuitt.) Was soll es heißen, wenn (S. 66) von einemKampf der Sprache gegen das Schicksal gesprochen wird? Niemand wird bestreiten, daß der Geistliche der Sprache bedarf, um zu wirken. Allein die Sprache ist lediglich das Medium, als solche zwar unerläßlich, jedoch nur äußerliche Form, Gestalt und Hülle, in der eine Substanz, ein Gehalt dargeboten werden soll, der selbst nicht mehr Sprache ist, wenn er auch nur durch die Sprache vermittelt werden kann. Es ist eine irreführende Schemati­sierung, zu behaupten, daß sich die Spracheeinem schicksalhaften Gang des Geschehens entgegensetze, das sog. Schicksalrelativiere (S. 66) oder daßmittels der Sprache ein Spielraum der Freiheit und der

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