Heft 
(1976) 23
Seite
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von Fontanes Vater. Also haben weder Theodor Fontane noch seine Schwestern ihre leibliche Großmutter gekannt. Vielmehr haben sie nur die dritte Frau des Großvaters kennengelernt. Als sie starb, war Jenny Fontane immerhin 20 Jahre alt, während Eliese erst 5 Jahre zählte. So ist es wohl zu erklären, daß die Schwestern die dritte Frau des Groß­vater ohne jeden Zusatzunsere treuliche Großmutter nennen. Eigentlich waren die Koch- und Backrezepte, die die Verfasserin 108 Jahre früher niedergeschrieben hatte, nur für den Hausgebrauch bestimmt und nicht fürfremde Augen gedacht. Wenn die Herausgeberinnen sie dennochan die Öffentlichkeit... ziehen, so verfolgen sie damit einen doppelten Zweck. Einmal wollen sie dartun,daß man schon um das Jahr 1800 in Berlin einen feinen Tisch mit Beigabe von Delikatessen aller Art sehr wohl kannte und zu würdigen wußte, wie es im Vorwort heißt. Sie wollen damit der Auffassung entgegentreten,als sei im ,armen Preu­ßenland um die Wende des 18. Jahrhunderts bis weit über die Märztage hinaus ein feinerer Geschmackssinn nicht ausgeprägt gewesen. Es ist also eine kulturpatriotische Absicht, von der sich die Schwestern leiten lassen, ähnlich der, die Theodor Fontane verfolgte, als er dieWande­rungen durch die Mark Brandenburg konzipierte.

Alsdann schreiben sie dem Kochbuch aber auch einenpraktischen Wert zu. Denn dieHausfrau von 1904 werde, so meinen sie, nach den alten Rezeptengar manches Gericht, das jetzt von unserm Tisch verschwun­den ist, ... versuchsweise ihrem Repertoire wieder einverleiben und durch Anwendung moderner Hilfsmittel vielleicht dauernd zur Geltung brin­gen.

Weder wissen wir noch wollen wir untersuchen, ob das geschehen ist. Genug, daß es hätte geschehen können. Denn das großmütterliche Koch­buch, das 231 Seiten umfaßt, ist zumindest recht reichhaltig. Es bietet 403 Rezepte, nach denen man Suppen, Gemüse, Fisch- und Fleischgerichte sowie Soßen zubereiten, Pasteten,Büddings und Mehlspeisen, Kuchen, Torten und anderes Gebäck backen oder anrichten kann. Es gibt ferner Anweisungen, wie man Gelee, Kompott, Gefrorenes und Eingemachtes zustande bringt, um mit einigen anderen Rezepten abzuschließen, aus denen wir lernen,Rosenwasser zu machen odergute weiße Seife in weniger Zeit zu kochen.

Da die Herausgeberinnen dieSchreib- und Redeweise der Originalhand­schrift absichtlich unverändert gelassen haben, wird man in diesem Zeit­dokument, wenn man schon nicht danach kocht, doch mit Vergnügen lesen, so daß Fontanes Stiefgroßmutter ohne Absicht und Zutun fast unter die Schriftsteller geraten ist.

Drei Proben mögen das illustrieren:

Zitronen-Suppe

Man nimmt auf 810 Personen 6 Zitronen, schälet sie und ziehet das Weiße rein ab. Alsdann schneidet man sie in Scheiben, tut die Körner heraus, von 2 Zitronen die Schale, eine Stange Zimmt, und dann gießet man kochendes Wasser darauf und lässet sie tüchtig kochen. Wenn dieses geschehen, schlüget man sie durch ein Haarsieb oder feines Tuch und

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