Sein Schaffensweg ist ungewöhnlich. Schon in jungen Jahren erkannte er seine Bestimmung, begann Mitte der dreißiger Jahre zu schreiben und erwies sich im Verlauf von mehr als vier Jahrzehnten als ein sehr produktiver Autor vieler Reportage-Bände kulturgeschichtlichen und publizistischen Inhalts. Als Verfasser von Balladen, von denen einige in alle Chrestomatien Eingang gefunden haben, war er von besonderer Bedeutung. Und doch war diese unentwegte literarische Tätigkeit eines knappen halben Jahrhunderts nichts weiter als ein ungewöhnlich ausgedehntes Präludium zu dem Eigentlichen, das zu erfüllen ihm noch oblag. Seinen Platz in der Geschichte der deutschen Literatur und des europäischen Realismus des 19. Jahrhunderts erreichte Fontane erst mit den Werken, die er im Alter geschrieben hat. Seinen ersten Roman „Vor dem Sturm“ beendete er an der Grenze zum sechsten Lebensjahrzehnt; seine berühmtesten Kostbarkeiten fallen in eine noch spätere Zeit.
Es ist ein Ausnahmefall in der Literaturgeschichte, daß Reife und Höhepunkt im Schaffen erst erreicht werden, wenn der Schriftsteller seinen Zenit in der Regel schon überschritten hat und seine Werke meist von einer Einbuße des Talents zeugen. Diese späte Verarbeitung langjähriger Beobachtungen und Erfahrungen war zwangsläufig: Bevor Fontane seine Romane und Erzählungen schrieb, die in ihrer Gesamtheit so etwas wie eine „menschliche Komödie“ des Bismarck-Deutschlands darstellen, war er zahrzehntelang gezwungen gewesen, freudlose journalistische Tagelöhner-Arbeit zu verrichten. Nachdem er in den fünfziger und sechziger Jahren das bittere Los eines „Tintensklaven“ der konservativen Regierungspresse ausgekostet hatte, schrieb Fontane 1891 in seinem Artikel „Die gesellschaftliche Stellung der Schriftsteller“: „Aus diesem Geld- Elend resultiert dann das Schlimmere: der Tintensklave wird geboren.“ 1
Die Wendung vom „alten Fontane“ konstatiert übrigens nicht nur die elementare Tatsache, daß die bedeutendsten Werke dieses Schriftstellers in vorgerücktem Alter entstanden sind. Die Werke selbst tragen in der Darstellung und Beurteilung menschlichen Verhaltens, in der ganzen Lebensauffassung und in der Art des Humors deutlich den Stempel der Reife. Nüchtern und illusionslos werden menschliche Leidenschaften und gesellschaftliche Zustände betrachtet; eine gewisse Versöhnlichkeit ist unverkennbar. Jugendlicher Radikalismus hat sich in Duldsamkeit verwandelt und Lebensweisheit tritt mitunter in Form olympischen Gleichmuts auf.
Der bekannte deutsche Kritiker Paul Rilla hat Fontanes spätes Schaffen so Umrissen: „Daß Fontane gezwungen wurde, gegen sein eigenes preußisch-konservatives Empfinden zu handeln, daß er die Notwendigkeit des Untergangs seines mit ironischen Vorbehalten geliebten märkischen Adels sah und die Ordnung der preußischen Welt als eine Konvention schildert, deren Beschränktheit kein besseres Schicksal verdient; und daß er Tüchtigkeit, seelische Größe und Zukunft dort sah, wo der Hochmut der neudeutschen Gesellschaft sich entrüstet abwand+e, — das ist zu
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