Behrend sieben (wenn auch nicht vollständige) Redaktionen des Romans. Von Etappe zu Etappe vertiefte und verbesserte Fontane die Charakteristik seiner Gestalten, veränderte den Handlungsort und das Kolorit des Ganzen. Als der Roman 1894/95 erschien, wurde er von der Kritik begeistert aufgenomen und erfuhr bald viele Neuauflagen. „Der erste wirkliche Erfolg, den ich mit einem Roman habe“, schrieb der Dichter 1895 in sein Tagebuch. 14
Mit „Effi Briest“ erreichte Fontane den Höhepunkt seines Schaffens; der Roman erwies sich aber auch als der Gipfel des deutschen Realismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dieser Roman hat die gesamte künstlerische Erfahrung in sich aufgenommen, die Fontane — angefangen mit „Schach von Wuthenow“ und endend mit dem Roman „Die Poggen- puhls“ gesammelt hat. Er beinhaltet die schärfste soziale Kritik und in ästhetischer Hinsicht die vollendetste Bewältigung der Themen, Ideen und Konflikte, die der Dichter in verschiedenen Aspekten in seinen Werken der achtziger und neunziger Jahre verarbeitet hat.
Manche Motive aus „Effi Briest“ sind schon in „L’Adultera“ und „Cecile“ enthalten; einzelne Episoden sind sogar unter Beibehaltung von Details übernommen worden. Diese Kontinuität wird noch sichtbarer hinsichtlich der Probleme, denen der Schriftsteller in „Effi Briest“ eine zentrale Stellung gab: verlogene und aufrichtige Ehre, die Haltung von Menschen in ihrer Beziehung zu gesellschaftlichen Forderungen" und Lebensregeln, die die Moral der herrschenden Klassen diktiert. Diese Probleme ziehen sich durch Fontanes gesamtes Schaffen; sie werden in dem Roman „Irrungen-Wirrungen“ und in den Erzählungen „Schach von Wuthenow“ und „Stine“ besonders deutlich.
Der Roman „Effi Briest“ blieb der Gipfelpunkt im Schaffen Fontanes. Nach ihm schrieb er in den wenigen Jahren, die ihm noch verblieben, zwei Bände Memoiren und den Roman „Der Stechlin“, von dem er nur noch den Vorabdruck in „Über Land und Meer“ erlebte. Sich noch einmal auf die Höhe von „Effi Briest“ zu erheben, war ihm nicht vergönnt.
Die tiefe Enttäuschung über die gesellschaftlichen Zustände und die moralischen Gepflogenheiten im deutschen Kaiserreich, die so deutlich im künsterischen Schaffen des alten Fontane zutage treten, und die allmählich sich herausbildende Überzeugung, daß die Zukunft der Arbeiterklasse gehört, riefen im Dichter ein zwar widersprüchliches, doch starkes Interesse für den Volksaufstand hervor. Immer häufiger dachte er über die Perspektiven einer sozialen Revolution nach. Ausdruck hierfür ist sein Vorhaben, einen historischen Roman über die Vitalien- brüder unter Klaus Störtebecker im 14. Jahrhundert, betitelt „Die Like- deeler“, zu schreiben. Fontane gelang es nicht mehr, dieses Vorhaben zu verwirklichen, aber viele Erwähnungen in Briefen und im Tagebuch sowie Entwürfe geben Kunde von dieser Absicht. Im Unterschied zu ~ früheren Geschichtsschreibern wollte Fontane keine Piraten und Plünderer, sondern die soziale Bewegung der kommunistischen „Gleichteiler“ beschreiben. Nach seiner Aussage zog ihn vor allem die „sozialdemo-