aber keine kritischen Schlüsse gezogen habe. „Wir dürfen von jedem, der sich an Heyse heranmacht, ein persönliches Farbebekennen in diesen wichtigen Fragen [der Heyseschen „Doktrin oder Lebensauffassung“] erwarten und verlangen ... “ Und er bekennt weiter: „Ich stehe persönlich so zu Heyse, daß ich ihn für das reichste Talent halte, das wir zur Zeit in Deutschland besitzen, dessen Bedeutung aber durch einen falschen Tropfen in seinem Blut immer wieder in Frage gestellt, in vielen seiner Produktionen einfach vernichtet wird. Wär ich der jüngere, könnt ich, ihn überlebend, in die Lage kommen, über ihn zu schreiben, ich würd ihn in meinem Essay sehr hoch und sehr tief stellen und das Perverse und schließlich doch auch sehr Unkonsequente seiner Lebensanschauungen und seines Liebeskatechismus zu beweisen suchen. Heyse, den ich sehr liebe, weiß auch, daß ich so über ihn denke.“ Tatsächlich, Heyse wußte es längst, denn was Fontane von Brahm forderte: das persönliche Farbebekennen, Fontane hat es ständig getan, wenn er manchmal auch lange zögerte und es oft vorzog zu schweigen. Taktvoll, mit größter Liebenswürdigkeit, aber mit ebenso großer Bestimmtheit hat er auf das hingewiesen, was er höflich als den „falschen Tropfen“ in Heyses Blut apostrophierte.
Was Fontane (und den kritischen Zeitgenossen) zunächst unheimlich an Heyses „Hervorbringungen“ war — schon in der Wortwahl drückt sich ironische Distanz aus —, das war die Produktivität des (wie Thomas Mann später formulierte) „sonnigen und fast unanständig fruchtbaren Epigonen“. Im Sommer 1360 heißt es über Heyse sarkastisch in einem Brief an Storm: „Alle zwei Jahr ein Kind, alle Jahr ein Drama, alle halb Jahr eine Novelle.“ Fontane stellte nicht den enormen Fleiß Heyses in Frage, ja er bewunderte die durchaus disziplinierte Arbeitsweise seines Kollegen: „ ... er war ein guter Haushalter mit seiner Zeit. Drum hatte er immer Zeit.“
Ernsthaft irritierte ihn vielmehr die literarische Produktion gleichsam aus sich selbst heraus, losgelöst von Zeit und Welt, unabhängig von den Vorgängen in Politik und Gesellschaft. In einem (ungedruckten) Brief an Wilhelm von Merckel vom 10./11. Januar 1858 macht Fontane im Zusammenhang mit Heyses Novelle „Die Einsamen“ darauf aufmerksam: „Paul schreibt in den seltensten Fällen das speziell Erlebte aus sich heraus, sondern er komponiert aus Vorgefundenem und tut so viel eigne Reminiszenzen und Anschauungen hinzu, daß das Ganze als ein Neues vor der Welt erscheinen kann.“ Fontane bestimmte diese kritischen Bemerkungen ausdrücklich nur für die Familie Merckel, aber er vertrat seine Meinung wenig später auch öffentlich. In einem bisher kaum beachteten Heyse-Artikel für Lorcks Lexikon „Männer der Zeit“ (1862, geschrieben 1861) gibt Fontane eine brillante Analyse: Heyse verleugne „alle äußerlich nationalen Kunstbehelfe“ und lasse seine Gestalten „mit immer gleicher Freiheit und Innerlichkeit aus der Unmittelbarkeit der Leidenschaft hervorgehen“. Er sucht ihre sittlichen Konflikte aus relativen Zuständen zu absolut poetischen zu erheben und alles andere: Kostüm, Lokalität, Historie und Tendenz, nur als sekundäre poetische
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