Heft 
(1976) 24
Seite
595
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Elemente gelten zu lassen. Gleichviel, ob seine Gestalten unter einem chinesischen, romanischen, klassischen, französischen oder modern ita­lienischen Himmel atmen, das, was ihn interessiert oder zur Behandlung reizt, ist das allgemein Menschliche, das von den Außendingen nur seine Nuancen empfängt. Seine sogenannte Stillosigkeit ist gerade sein Stil. Daneben darf freilich nicht verschwiegen bleiben, daß ihn eine starke Vorliebe für pathologische Probleme, für sogenannte merkwürdige Fälle diarakterisiert, die nicht immer auf einer allgemeinen ethischen Idee basiert sind. Er gefällt sich gelegentlich in einer poetischen Kasuistik, die darauf aus ist, jeden einzelnen Vorgang zu einem historisch ein­zigen und unvergeßlichen zu machen ...

Mit anderen Worten: Literatur aus der Retorte, lart pour lart. Heyses literarisches Schaffen wurde nicht vom Leben, sondern aus der Literatur, der Phantasie gespeist, und deshalb vermochte Fontane trotz respekt­voller Äußerungen über einzelnes Heyses Bücher von Anfang an nicht als wirkliche Kunstwerke zu akzeptieren. Sie brillieren in formaler Meisterschaft, sind aber im Grunde lebensfern und volksfremd, und Fontane erklärte schon 1855 denMangel an scharfen Umrissen aus einergewissen vornehmen Gleichgültigkeit gegen die Geschichte. Und der Vorwurf der Geschichtslosigkeit, der Lebensferne, des Konstru­ierten, des Unwirklichen, des bloßen schönen Scheins zieht sich durch die polemischen Äußerungen in Fontanes Briefen und Besprechungen. Noch 1886 konstatiert Fontane zumRoman der Stiftsdame:Dem realen Leben entnommen ist es sicherlich nicht. Und er beanstandet das Märchenhafte, das Idyllische und spricht ironisch von der Königs­tocher, die die Lämmer weide.

Fontanes kritische Ein wände treffen immer ins Schwarze, denn sie ver­teidigen den kritischen Realismus gegen die epigonale, von der Realität abstrahierende Erzählkunst seines Münchener Kollegen. Und sie erklären zugleich die außerordentliche Popularität Heyses bei der Mehrzahl der bürgerlichen deutschen Leser. Heyse sprach wie kaum ein anderer ihre Bedürfnisse aus und tröstete sie über das nachrevolutionäre Dilemma hinweg. Die Hoffnungen der Revolution waren begraben, und resigniert flüchtete sich das liberale Bürgertum vor der grauen Wirklichkeit der Restaurationsperiode in ebenjenes Reich desschönen Scheins (wobei man sich auf ein epigonal mißdeutetes Klassik-Bild stützte).Heitere Schönheit und schlackenlose,gefällige Formen sollten, wie Heyse es im Kuglerschen Kreis vor allem von Geibel gelernt hatte, dieDisso­nanzen der Realität auf lösen. Genau das konnte Heyse (und mit ihm der Münchener Dichterkreis) den Lesern bieten. DasMünchener Dichter­buch enthielt das ästhetische Credo: Statt, wie Heyse formulierte, einer sogenannten Aktualität~ zu folgen, habe der Schriftsteller dasall­gemein Menschliche in schöner Form zu gestalten.

Daß Heyse dabei die novellistische Form bevorzugte, ist nicht allein eine Frage der individuellen künstlerischen Begabung. Die auffällige Hinwendung zur Novelle, die sich ja auch bei Storm, Keller und C. F.