soll die „Kinder der Welt“ sorgfältig vor seiner vierundzwanzigjährigen Tochter verschlossen haben.
Dennoch bleibt Heyses Zeitkritik stets im psychologischen und ethischen Bereich und tastet die Existenz der bürgerlichen Gesellschaft nie an. Er protestiert gegen die Verlogenheit und Heuchelei nur indirekt durch die (provozierende) Darstellung freisinniger, edler und schöner Menschen. Dadurch entsteht das, was Fontane als „Liebeskatechismus“ bezeichnet und bezweifelt: Schönheits- und Liebeskult als Selbstzweck. Conrad Alberti, der unter den Schriftstellern der jüngeren Generation Heyse besonders erbittert attackierte, schrieb: „Der Mann kennt eben sein Publikum, er ist ein geschäftsschlauer Fabrikant, nichts weiter; er ist in seiner Mischung von Lüsternheit und posierender Sentimentalität der Clauren unserer Tage und besitzt dasselbe Publikum und denselben Erfolg wie jener.“
Alberti wird in der Hitze der Polemik ungerecht, aber im Grunde hat er das Problematische, das Goldschnitthafte an Heyses Schaffen erfaßt: die Hypertrophierung, ja die Idealisierung des Erotischen, des Aristokratischen, des Schönen an sich. In Heyses Weltanschauung gab es keinen Platz für das Häßliche, für die Schattenseiten des Lebens. „Was mir“, so sagte er, „schon im Leben gleichgültig war, oder gar widerwärtig, warum sollte ich mich in der Poesie damit befassen. Es gibt genug andere, die es vorziehen, das Häßliche zu malen.“ Nun es gab weiß Gott genug Häßliches zu Heyses Zeit, der konfliktgeladenen Periode zwischen der Julirevolution in Frankreich und dem Ausbruch des ersten Weltkrieges. Aber dafür fühlte sich der Klassist Heyse nicht zuständig. Er war gemäßigt konservativ eingestellt, ohne je die Rolle eines servilen Höflings zu spielen, und er nahm seinen Nationalliberalismus, die Verehrung Bismarcks sehr ernst (ohne sich freilich je in den chauvinistischen Tiraden seines Freundes Geibel zu ergehen, der 1861 das fatale Schlagwort der imperialistischen Ära prägte: „Und es mag am deutschen Wesen / Einmal noch die Welt genesen“). Aber es fehlte Heyse und seinen Münchener Dichtergenossen — nach eigenem Geständnis — „an Geschick und Neigung“, „in die Zeit hineinzuhorchen und uns zu fragen, welchen ihrer mannigfachen Bedürfnisse, sozialen Nöte, geistigen Beklemmungen wir mit unserer Poesie abhelfen könnten“. Der Künstler Heyse lehnte es ab, „sozialer Nothelfer“ zu sein; daher seine erbitterte Feindschaft gegen die sozialkritische, engagierte Literatur der Naturalisten, von denen er in seinem „Merlin“-Roman behauptete, daß sie das „Ideal, das Heimweh nach dem Schönen und Großen“ mit der Mistgabel aus der Welt zu schaffen suchten.
Hier mußte die Kontroverse mit Fontane natürlich einen neuen Höhepunkt erreichen, weif Fontane über das Häßliche und die soziale Frage ganz anderer Meinung war. Er sympathisierte offen mit den „Radaubrüdern“ um die „Gesellschaft“ und die „Freie Bühne“, Brahm und Schlenther gingen bei ihm ein und aus, mit Alberti korrespondierte er, und in Mauthners Zeitschrift„Deutschland“ ließ er seine „Stine“ zuerst
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