erscheinen. Heyse gegenüber bekannte er sich offen zu seinem „Sündenfall“. Heyses „Weltuntergang“ mit seiner ausgeklügelten Fabel und seiner abseitigen Thematik konnte neben Hauptmanns Schauspiel „Vor Sonnenaufgang“ mit dem kühnen Griff in gesellschaftliche Tagesfragen nicht bestehen. Fontane erläuterte Wilhelm Hertz am 11. Dezember 1889 seine schwierige Situation: „Gestern habe ich ihm [Heyse] nun geschrieben. Es war nicht leicht, weil er, aller seiner Wohlwollendheit unerachtet, in mir einen Abtrünnigen sieht, einen Freischärler innerhalb jener Rotte Korah, die ihm seit Jahr und Tag vielleicht das Leben, jedenfalls aber die Laune verdirbt. Und doch kann ich’s nicht ändern. ,Vor Sonnenaufgang 1 mit dem Hopslabären und Kahl-Wilhelm, der in Strümpfen über den Zaun klettert, interessiert mich mehr als ,Prinzessin Sascha“. Heyse kann und will sich nicht darin finden, daß sich in 50 Jahren der Geschmack ändert. .. “
Die Standpunkte waren erneut deutlich markiert, aber man verstand sich im Zeichen des alten Louis-Angely-Satzds: „Doch dadrum keene Feindschaft nich“. Zu großen Debatten kommt es nun nicht mehr, ja Fontane schickt „Stine“ vorsichtshalber gar nicht erst an Heyse. Heyse macht dann zwar warmherzige Anmerkungen über „Quitt“, den er in seinen wesentlichen Partien jedoch nicht versteht und nur an seiner eigenen Ästhetik zu messen versucht. Fontane gibt ein paar freundlich-zurückhaltende Eindrücke über die Lektüre von Heyses „Weihnachtsgeschichten“. Der Schillerpreis, eine Unterstützung für Auguste Scherenberg, ein paar nette Zeilen hin und her: es gab nichts mehr zu sagen. Heyse zog sich vergrämt in den literarischen Schmollwinkel zurück und produzierte weiter seine sterilen Geschichten, die Fontane kaum noch zur Kenntnis nahm. Fontane vollendete zur gleichen Zeit seine profunden erzählerischen Auseinandersetzungen mit der Berliner Bourgeoisie und dem märkisch-preußischen Adel und entwickelte eine moderne Form des „Zeitromans“, die er, wie er im Zusammenhang mit dem „Stechlin“ schrieb, für die einzig richtige, ja „für die gebotene Art“ hielt. In der Korrespondenz mit Heyse wird auch dieses Problem sorgfältig ausgespart, doch aus Briefen Heyses aus dem Jahre 1897 wissen wir, daß er Fontanes Altersprosa, daß er namentlich „Die Poggenpuhls“ und „Effi Briest“ rundheraus ablehnte. Über „Die Poggenpuhls“ äußerte er am 16. Februar 1897 gegenüber Siegmund Schott, er habe „das bißchen allzu Triviale gewisser Küchenzettel und der häuslichen Verhältnisse“ zunächst gern in Kauf genommen. „Als aber aus der Raupe und Puppe sich durchaus kein Schmetterling entwickeln wollte, die Erzählung ausging wie das berühmte Hornberger Schießen und wir wirklich nur einen coin de realite vu par un temperament [Ausschnit aus der Wirklichkeit gesehen durch ein Temperament] aufgetischt bekommen hatten, sagt ich mir eben doch, daß dieser anmutige Klatsch bei aller Kunst des Vortrags und Schärfe der Beobachtung meine arme — akademische! reaktionäre! veraltete und hinter der Zeit zurückgebliebene! Seele nicht mit demjenigen Wohlgefühl erfüllen könne, das ich im Gegensatz gegen den bloßen Cancan einer angenehmen Gesellschaft von der sog. Dichtkunst
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