nicht bestritten werden soll, Heyse gegenüber. Aber solche Rücksichten habe ich auch genommen; ich habe nur Anerkennendes, Schmeichelndes, Huldigendes über ihn gesagt; noch weiter gehen konnte ich nicht, denn so klug, so fein, so geistvoll, so äußerlich abgerundet bis zur Meisterschaft er ist, so ist doch die Kluft zwischen ihm und mir zu groß, um meinerseits mit Ruhmesdithyramben über ihn losgehen zu können. Er hat seinen Platz in der Literatur, was schon sehr viel ist; aber ein Eroberer ist er nicht.“ 1
Werner Hoffmeister (Providence, USA)
Der realistische Gesellschaftsroman bei Theodor Fontane und William Dean Howells: Eine deutsch-amerikanische Parallele
„The Germans have as distinctly excelled in the modern novella as they have fallen short in the novel. Or, if I may not quite say this, I will make bold to say that Ican think of many German noveile that I should like to read again, but scarely one German novel.“ 1 Trotz der bewußt subjektiven Formulierung belegt dieses Urteil auf repräsentative Weise das Desinteresse, das amerikanische Kritiker und Schriftsteller im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts dem deutschen Roman gegenüber bekunden. Die zitierten Worte stammen von William Dean Howells (1837—1920), der unter den amerikanischen Schriftstellern seiner Generation wohl der beste Kenner der deutschen Literatur war, der aber seine romanästhetischen Maßstäbe aus der Lektüre der großen Romanciers Englands, Frankreichs und Rußlands (insbesondere J. Austen, G. Eliot, E. Zola, I. Turgenev, L. Tolstoj) gewann. Als junger Mann, im heimatlichen Ohio, hatte Howells Deutsch gelernt, um den bewunderten Heinrich Heine im Original lesen zu können, er hatte ihn übersetzt und in seinen eigenen Gedichten imitiert; Heine hatte in ihm die entscheidende Befreiung („liberation“) von überkommenen literarischen Konventionen bewirkt. 2 Er hatte sich sodann in intensiver Lektüre mit anderen Autoren der klassisch-romantischen Zeit, vor allem Goethe und Schiller, auseinandergesetzt. 3 Als Bildungstourist lernte er später auf etwa zehn verschiedenen Reisen das wilhelminische Deutschland kennen, und im hohen Alter schrieb er ein autobiographisch gefärbtes Reisebuch, Hither and Thither in Germany, das so manchen kritischen Seitenhieb auf die wilhelminischen Verhältnisse enthält. Es ist jedoch bemerkenswert, daß der ungewöhnlich belesene und der deutschen Literatur gegenüber so- sehr aufgeschlossene Howells sich in keiner seiner unzähligen literaturkritischen Essays mit einem zeitgenössischen deutschsprachigen Romanautor eingehend befaßte. Das literarisch Neue und Anregende auf dem Gebiet der zeitgenössischen Prosa kam für den Begründer des realistischen Gesellschaftsromans in Amerika verständlicherweise aus den lite-
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