rarischen Metropolen Europas, nicht aus Braunschweig, Linz, Zürich oder selbst Berlin.
In Berlin setzte in den späten 70erJahren der alte Theodor Fontane zu seinem „eigentlichen“ Lebenswerk an, einer Reihe realistischer Gesellschaftsromane, deren sozialanalyitische Schärfe für Deutschland ebenso ein Novum darstellte, wie es Howell’s Darstellungen der Bostoner und New Yorker Gesellschaft für den amerikanischen Roman war. Allem Anschein nach nahm Howells; der bis in die 90er Jahre — zunächst als Herausgeber des Atlantic Monthly, dann als prominenter Mitarbeiter bei Harper’s Magazine — eine bedeutende Vermittlerstellung im literarischen Leben Amerikas innehatte, von seinem um 18 Jahre älteren deutschen Zeitgenossen in Berlin nicht Kenntnis, obgleich dessen Romankonzeption und -praxis mit seiner eigenen Position auf fundamentale Weise übereinstimmte. Der anglophile Fontane nahm seinerseits jedoch durchaus von Howells Notiz. Das wissen wir, seitdem vor einigen Jahren seine Aufzeichnungen zur amerikanischen Literatur bekannt wurden, die 70 Jahre lang unbeachtet im Nachlaß geruht hatten. Unter ihnen befindet sich ein wohl als Rezension geplanter Kurzaufsatz über Howells’ frühen Roman A Foregone Conclusion (1875), der 1876 in Berlin in deutscher Übersetzung erschien/ 1 Thema des Romans ist — ähnlich wie in den „internationalen“ Romanen seines Freundes Henry James — der amerikanisch-europäische Kulturgegensatz; in der Konfrontation amerikanischer Unschuld und Redlichkeit, verkörpert in der 17jährigen Neuengländerin Fiorida, mit europäischer Hintergründigkeit und Ambivalenz, die der italienische Priester Don Ippolito vertritt, führen wechselseitige Mißdeutungen und Fehlhandlungen zu tragischen Konsequenzen für den europäischen Protagonisten. Fontane bezeichnet den Roman — trotz einiger kritischer Einwände — als „ein Meisterstück. Tadellos komponiert, die Charaktere scharf und konsequent gezeichnet, in Schilderung von Lokal und Stimmung ersten Ranges, in Beobachtungen und Bemerkungen glänzend; ein Triumph der Wahrheit und Phrasenlosigkeit.“ 5 Bedeutsam für unseren Zusammenhang ist, daß Fontane mit seinem geschmackssicheren Urteil nicht nur den bis dahin in Deutschland völlig unbekannten Amerikaner gleichsam auf eigene Faust für sich entdeckt, sondern daß sich in seiner Kennzeichnung der realistischen Machart des Romans auch grundsätzliche Kriterien mitteilen, die Fontane generell in seinen Rezensionen zeitgenössischer Romane, vor allem in den 70er und 80er Jahren, anwendet. Zudem sind es Kriterien, die sich — manchmal in geradezu verblüffend gleichlautender Formulierung — auch in Howells romantheoretischen Äußerungen finden. Fontane bezeichnet den Roman als einen „Triumph der Wahrheit“. Sowohl für den Amerikaner wie für den Deutschen ist „Wahrheit“ der Darstellung ein zentraler Begriff der realistischen Romankonzeption; bei beiden verbindet er sich gewöhnlich mit der Forderung nach der Glaubhaftigkeit des Dargestellten und zielt sowohl auf die Plausibilität einzelmenschlicher Motivation und Handlungsweise wie auf die adäquate Spezifizierung gesellschaftlichgeschichtlicher Gegebenheiten — zwei Qualitäten, die beispielsweise weder
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