Wie bei Fontane orientiert sich die realistische Romankonzeption auch bei Howells an den Begriffen des Wahren und Glaubwürdigen. „It remained for realism to assert fidelity to experience and probability of motive“; „Realism ist nothing more and nothing less than the truthful treatment of material“, so heißt es in dem großen polemisch-programmatischen Essay Criticism and Fiction (1891), 13 in dem die Begriffe „truth“, „truthfulness“, „verity“, „fidelity“ und „probability“ die zentralen Realismus-Kriterien sind. Howells teilt mit Fontane die anti-romantische Abneigung gegen große Gebärden, spannungsreiche Verwicklungen, unglaubwürdigen Heroismus, exzessive Leidenschaften und eine hochgetriebene, metaphernreiche Literatursprache. Es klingt wie ein Echo der Fontaneschen Forderung nach dem „unverzerrten Widerspiel des Lebens, das wir führen“, 14 wenn Howells fordert: „Let fiction cease to lie about life; let it portray men and women as they are, actuated by the motives and the passions in the measure we all know; let it leave off painting dolls and working them by springs and wires.“ 15 Sowohl bei Howells wie bei Fontane entwickelt sich der Roman der zeitgenössischen Gesellschaft aus der Reisebeschreibung und Reiseerzählung. Was für Fontane die Englandbücher und die Wanderungen sind, das bedeuten für Howells seine Italien-Reisebücher 16 : Einübung in die erzählerische Bewältigung beobachteter Menschen, Sitten und gesellschaftlicher Zustände; Schärfung des Sinnes für geschichtlich Gewordenes; Ausbildung einer urbanen, distanzierten, kritisch-analytischen und humoristischen Erzählhaltung. Im Rückblick auf seine schriftstellerische Laufbahn sagt Howells mit charakteristischer Selbstironie: „I was a traveler long before I was a noveler, and I had mounted somewhat timidly to the threshold of fiction from the high-roads and by-roads where I had studied manners and men.“ 17 Prägnanter ließe sich auch Fontanes literarischer Werdegang kaum kennzeichnen.
Das Studium von „manners and men“: in wesentlichen gemeinsamen Zügen sind die Romane Howells’ und Fontanes der Tradition der „novel of manners“ verpflichtet, die vor allem für die englische Prosa des 19. Jahrhunderts — von Jane Austen über W. M. Thackeray bis zu George Eliot — bestimmend geworden war. Sowohl Howells wie Fontane lassen ihre novels of manner in Klassengesellschaften mit relativ homogenen Oberschichten spielen, deren zwischenmenschliches und geselliges Leben durch einen festen Bestand an „manners“ — Konventionen, Traditionen, Riten, Sitten, Vorurteilen, kurz: Verhaltensnormen — geregelt wird. Die äußeren Handlungsvorgänge zeigen vor allem eine Welt der geselligen Zusammenkünfte, der gepflegten, geistreichen Konversation, der Diners, Festivitäten, Exkursionen. 18 Verstöße gegen die guten Manieren, den Takt und den guten Geschmack sind zugleich Verstöße gegen die Moral, wie denn überhaupt „manners“ und „morals“ für die gesitteten Lebensformen der Oberschicht schwer trennbare Größen sind. Die genau lokalisierbare Adresse spiegelt den wirtschaftlichen und sozialen Status: so wie es in Fontanes Berlin bedeutsam ist, ob man in einem Eckhaus der Groß- görschenstraße wohnt (mit Fensterblick auf einen Friedhof und Schulzes
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