Heft 
(1979) 29
Seite
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Hochgeehrter Herr Doktor.

Das Beiliegende ist Anfang und Schluß eines Aufsatzes W. Lübkes, dessen weggelassenes großes Mittelstück sich mit österreichischer Kunst beschäf­tigt. Es liegt^ Lübken am Abdruck; was aber wichtiger ist: es ist inter­essant zu lesen, zutreffend, zeitgemäß. Da ich seit 14 Tagen in der angenehmen Lage war, Sie und die Z[ei]tung mit nichts Theatrischem inkommodieren zu müssen, so spendieren Sie wohl eine halbe Spalte.

Wie immer Ihr aufrichtig ergebenster Berlin, 9. Febr. 72.

Th. Fontane

Anmerkungen

Die beiden Briefe sind an den Chefredakteur der Vossischen Zeitung gerichtet, deren ständiger Mitarbeiter Fontane seit 1870 war.

Den ersten Brief, aus dem Helmuth Nürnberger bereits einen Abschnitt wieder­gegeben hat (Th. Fontane: Briefe an Hermann Kletke. Hrsg, von H. Nürnberger. München 1969, S. 121; im folgenden alsNürnberger zitiert), schrieb Fontane kurz vor seiner zweiten Frankreich-Reise. Während seiner ersten, Ende September 1870 angetretenen Reise nach Frankreich war er am 5. Oktober in Domremy als angeb­licher Spion verhaftet worden und in französische Gefangenschaft geraten, aus der er erst Anfang Dezember 1870 nach Deutschland zurückkehrte. Da nun Fontane nicht darauf verzichten wollte, auch den Verlauf des deutsch-französischen Krieges darzu­stellen und seinen Büchern über den deutsch-dänischen Krieg von 1864 und den deutsch-österreichischen von 1866 ein weiteres hinzuzufügen, war er gezwungen, erneut eine Reise nach Frankreich zu wagen. Denn, schreibt Fontane in seiner Autobiographie von 1874, sodeprimierend derZwischenfall von Domremy auch war,so durfte er mich doch nicht abhalten, mein Glück noch einmal zu versuchen. Große Schlachten lassen sich ohne Kenntnis des Terrains nicht beschreiben, und so blieb mir nur die Wahl, entweder die sprichwörtliche Scheu zu überwinden, die der Gebrannte vor dem Feuer hat, oder aber eine Darstellung dieses glän­zendsten unsrer Kriege überhaupt aufzugeben. Ich tat das erstre und trat eine zweite Reise nach Frankreich an, die glücklicher verlief (Th. Fontane: Auf­zeichnungen zur Literatur. Hrsg, von H.-H. Reuter. Berlin, Weimar 1969, S. 4). Fontane reiste am 9. April 1871 ab und war Mitte Mai 1871 wieder in Berlin.

Wer Fontane, seiner Bitte an Kletke entsprechend, während seiner Abwesenheit in seinemTheaterreferat, das er etwa ein Dreivierteljahr zuvor übernommen hatte, vertrat, läßt sich nicht feststellen. Denn die Rezensionen der Aufführungen des Schauspielhauses, die zwischen dem 12. April und dem 20. Mai 1871 in der Vossischen Zeitung erschienen, sind nicht gezeichnet. Es ist möglich, daß sie von dem Mitarbeiter der Vossischen Zeitung stammen, der sonst die Aufführungen des Wallner-Theaters rezensierte.

Wenn Fontane Kletke bittet, ihn alsErben von Pietsch einzusetzen, so denkt er dabei an Pietschs Kriegsberichterstattung. Ludwig Pietsch (18241911), ebenfalls Mitarbeiter der Vossischen Zeitung, hielt sich 1870/71 in Frankreich auf und verfolgte als Korrespondent den Kriegsverlauf. Seine Berichte veröffentlichte die Vossische Zeitung unter der RubrikKriegsbilder, und sie erschienen 1871 unter dem Titel Von Berlin nach Paris als Buch. Fontane gedachte das, was Pietsch begonnen hatte, fortzusetzen und, nachdem er seine erste Frankreich-Reise und ihre üblen Folgen inKriegsgefangen (als Buch Anfang 1871 erschienen) beschrieben hatte, auch über die zweite Reise zu berichten.

Aus dem Brief Fontanes an Kletke vom 4. April 1871 geht hervor, daß die Redaktion der Vossischen Zeitung damit einverstanden war. Fontane bestätigt:Die Sache ist also abgemacht; ich sammle Stoff und gestalte ihn erst hier [d. h. in Berlin. J. K.]. Dies entspricht ganz meinem Wunsch und meiner Neigung (Nürnberger, S. 33).

So entstand der ReiseberichtAus den Tagen der Okkupation, an dem Fontane seit Juni 1871 arbeitete. Das Werk erschien im November 1871 in zwei Bänden im Verlag von R. Decker. Die Vossische Zeitung hatte seit dem 16. August 1871 nach und nach Teile daraus im Vorabdruck gebracht.

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