Der „Stadtgerichtsrat“, mit dem Fontane die Sache zu besprechen bittet, ist der Haupteigentümei* der Vossischen Zeitung, Carl Robert Lessing (1827—1911).
Das zu Anfang des Briefes vom 30. März 1871 erwähnte „Kattesche Briefjuwel“ und die „andern Briefe“ waren Materialien zu dem Katte-Aufsatz, den Fontane damals abschloß. In dem eben herangezogenen Brief vom 4. April 1871 teilte Fontane Kletke mit, daß er „die zweite Hälfte des Katte-Aufsatzes“ der Vossischen Zeitung ein- gesandt habe und den Rest am folgenden Tag liefern werde (Nürnberger, S. 33). Der Aufsatz, betitelt „Wust. Das Geburtsdorf des Hans Hermann von Katte“ erschien in den Sonntagsbeilagen der Vossischen Zeitung von 2. und 9. April 1871 und ging 1880, in veränderter Fassung, in die 2. Auflage des 3. Bandes der „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ ein. Fontane war von Carl Robert Lessing aufgefordert worden, einen Beitrag für die Sonntagsbeilage der Vossischen Zeitung zu schreiben, und hatte Kletke darüber in seinem Brief vom 23. März 1871 informiert (Nürnberger, S. 32). Das Dorf Wust, wo Katte begraben lag, hatte Fontane im August 1867 besucht.
In dem zweiten Brief empfiehlt Fontane den Teilabdruck eines Aufsatzes von Wilhelm Lübke, der in der Augsburger Allgemeinen Zeitung gestanden hatte. Der Kunstwissenschaftler Wilhelm Lübke gehörte, als er noch an der Bauakademie in Berlin tätig war (bis 1861), zu der von Friedrich Eggers gegründeten „Ellora“, einer Abzweigung des „Tunnels über der Spree“, und war mit Fontane befreundet. Seif 1866 lehrte Lübke als Professor an der Technischen Hochschule Stuttgart. In seinem Aufsatz, der — auf Fontanes Anregung — gekürzt unter dem Titel „Die schönen Künste und ihre Pflege in Berlin“ in der Vossischen Zeitung (Nr. 40 vom 17. Februar 1872) erschien, verurteilte Lübke mit auffällig scharfen Worten den Niedergang der Kunstwissenschaft in Berlin seit dem Tode Franz Kuglers (1858) und die sträfliche Vernachlässigung der Kunstpflege in Preußen und verglich die kümmerliche Lage der Künste in Preußen mit den spektakulären Aktivitäten, die Preußen aui militärischem und politischem Gebiet entwickelte. Lübkes Appell gipfelt in dem Hinweis darauf, „wie wenig der mächtigste deutsche Staat in den letzten Dezennien für das höhere Kulturleben geleistet hat“. Daß Fontane diesen schweren Vorwurf, den Lübke Preußen macht, als „zutreffend“ bezeichnet, läßt seine kritische Haltung gegenüber dem Preußischen Staat erkennen.
Der Brief vom 30. März 1871 ist Eigentum der Universitätsbibliothek der Humboldt- Universität zu Berlin und befindet sich jetzt als Dauerleihgabe im Theodor-Fontane- Archiv, Potsdam; den vom 9. Februar 1872 hat das Fontane-Archiv unlängst erworben. Der Herausgeber dankt Frau Dr. W. Irmscher, Direktor der Universitäts- bifliothek Berlin, und Herrn Bibliotheksrat J. Schobeß, Leiter des Fontane-Archivs, für die Erlaubnis zur Veröffentlichung der Briefe.
Theodor Fontane
Drei unveröffentlichte Briefe an Friedrich Witte
Mitgeteilt und kommentiert von Dr. Gotthard Erler
Mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchivs Rostock publizieren wir im folgenden erstmals drei Briefe, die Fontane 1883, 1884 und 1888 an Friedrich Witte richtete. Unabhängig vom Zufall der Überlieferung haben sie die beziehungsreiche Anspielung und die originelle Pointe gemeinsam, die sich Fontane jedesmal hat einfallen lassen, um seinem Freund zum Geburtstag zu gratulieren. Es sind Beispiele einer hochentwickelten Briefkunst, die der Autor auch, ja vielleicht gerade alten Bekannten gegenüber kultivierte.
Er hatte den zehn Jahre jüngeren Witte einst in der „Polnischen Apotheke“ in Berlin kennengelernt, wo er als Provisor, Witte als Lehrling beschäftigt waren. Ab 1853 leitete Witte die väterliche Apotheke in Rostock, und 1856 etablierte er dort eine pharmazeutische Firma, deren Präparate bald internationalen Ruf gewannen. Zugleich widmete er sich der Politik,
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