wurde 1864 kaufmännischer Senator in Rostock und zog 1878 als nationalliberaler Abgeordneter in den Reichstag ein. Die damit verbundenen Aufenthalte in Berlin brachten Witte und Fontane erneut in nähere Verbindung (und überdies entwickelte sich zwischen Martha Fontane und Wittes Tochter Lise eine lebhafte Freundschaft).
Das Tagebuch, das Friedrich Witte jeweils während der Reichstagssessionen führte (und das sich im Nachlaß Witte im Rostocker Stadtarchiv befindet), belegt, wie intensiv der Verkehr zwischen Witte und Fontane und dessen Familie gewesen ist. Wittes Eintragungen zeigen — was bisher, soweit ich sehe, nicht beachtet wurde —, daß er Fontane unmittelbar über die Debatten im Reichstag informierte (zum Beispiel über das „Sozialistengesetz“ im Herbst 1878) und am 25. Februar 1879 in der Potsdamer Str. 134 c sogar seine gegen Bismarck gerichtete Rede vorlas. Auch unter dem 28. März 1881, als er mit Fontanes bei Familie Zöllner zusammentraf, heißt es ausdrücklich: „Ich mußte allerlei Parlamentarisches erzählen.“
Witte brachte (wie eine Tagebuch-Notiz vom 19. Juni 1884 ausweist) kein Verständnis für Fontanes literarisches Werk auf: „Ich bleibe ziemlich kühl bei seinen Arbeiten, welche eine Unzahl feiner Sachen enthalten, denen aber der eigentliche Guß und die zwingende Gewalt der Erwärmung und Begeisterung total fehlt. Viel Kunst, wenig wirkliches Leben.“ Gleichwohl fühlte er sich Fontane menschlich sehr verbunden; am 22. März 1885 schreibt er ins Tagebuch: „Geburtstagsfeier für Martha F. Sehr angenehmer Abend; es ist doch etwas um wirkliche, alte, bewährte, durch 1000 Dinge und Erinnerungen fest aufgebaute Freundschaft.“
Berlin, 18. Febr. 83 Potsd. Str. 134 c
Mein lieber Witte.
Der 19. klopft an, 1 und ich wickle mich aus meinen fünf Röcken heraus, unter denen ich bis diesen Augenblick gelegen, um ihn an der Tür zu begrüßen. Unter den Kalendernotizen, die sich mit Andreas Hofers Erschießung 2 und Leos XIII. Papstwahl 3 begnügen, fehlt noch Dein Name, aber der Tag ist nah, wo Du mit dem Fakt Deiner Geburt zwischen den beiden Notizen Deine Stellung nimmst und dem ganzen Kalenderblatt ein gemütlicheres Ansehn gibst. Alles, was Dich in den Stand setzt, diese Wirkung zu üben, bleibe Dir erhalten: Gesundheit, Frische, Glück im Haus und in Deinen Unternehmungen. Als Nächstes aber wünsch ich gute Nachrichten aus Schwiggerow. 4 Lise selbst schreibt ja tapfer genug, und Tapferkeit ist der halbe Sieg.
Über unsre Zustände werden wohl Martha und meine Frau in Beiliegendem geschrieben haben. Da ich eben habe versprechen müssen, die betr, Zeilen nicht zu lesen, so schließ ich auf einige Übertreibungen nach der Leidensseite hin. Im übrigen geht es mir wirklich nicht gut, und das
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