Heft 
(1979) 29
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so groß, daß ich unter allen Schmerzen, die nicht gering waren, nur die einzige Sorge und Bitte hatte, Du, mein Kind, mögest das Leben behalten. Noch heute danke ich Gott dafür, daß er da meine Bitte erhörte; denn Du, mein geliebter Theodor, warst mir immer ein guter, lieber Sohn. Möge Er nun auch jetzt meine Bitte erhören und es Dir stets gut ergehen lassen, das Wie, mag Er in seiner Weisheit und Liebe bestimmen. Vor­züglich möge Er Dir stets Gesundheit und Zufriedenheit geben, Dein Weib und Kind erhalten und Dich bald wieder mit ihnen vereinen. Was Dir von hier mitzuteilen ist, berichtet Dir Emilie, deshalb will ich nur noch hinzufügen, daß Dein lieber Georg der Vereinigungspunkt unserer Weihnachtsfreude war und noch ist, und wünschten wir alle nichts mehr, als daß Du, mein lieber, guter Theodor, Deinen Liebling sehen könntest. Auch heute ist des Kindes Freude noch groß, bald ist er Soldat in allen Formen, d. h. Hornist, Trommler, Offizier und Gemeiner, und bald ist er Koch, zu welcher Kunst der Baum geplündert wird.

Jetzt, mein geliebter Sohn, will ich Dir noch, wenn es Gottes Wille ist, daß Elise zu Dir nach England kommt 12 , sie Dir so recht ans Herz legen. Sei ihr nicht nur Bruder, sondern auch Vater und Freund; gib ihr nicht allein nur Nahrung für ihren Körper, ach nein, gib sie ihr auch für Herz und Gemüt und laß für mich und für sie dadurch die Trennung zum Heil und Segen werden.

Gott schütze Dich und erhalte mir Deine Liebe.

Deine treue Alte.

Neu-Ruppin, 25. 12. [18]55.

Anmerkungen

1 Emilie Fontane, geb. Labry, geboren am 21. 9. 1798 in Berlin, gestorben am 13. 12. 1869 in Neuruppin, Mutter Theodor Fontanes. Der Dichter schreibt über seine Mutter inMeine Kinderjahre u. a.:Sie war dem ganzen Rest der Familie, der damaligen wie der jetzigen, weit überlegen, nicht an sogenannten Gaben, aber an Charakter, auf den doch immer Alles ankommt. Ihre ganze südfranzösische Heftigkeit, die mitunter geradezu ängstliche Formen annahm, war vielleicht nicht immer zu billigen, aber doch schließlich nichts Andres, als eine beneidenswerte Kraft, sich über Pflichtverletzung und unsinnige Lebens­führung tief empören zu können und ich muß es als ein großes Unglück ansehen. daß diese mir jetzt klar zu Tage liegenden Vorzüge von uns allen zwar immer gewürdigt, aber in ihrem vollen Wert und Recht nie ganz erkannt wurden. (Meine Kinderjahre. Berlin: Fontane 1896, S. 14, Erstausgabe.)

2 Bethanien, Diakonissenhaus auf dem Köpenicker Feld in Berlin, in dem Theodor Fontane 1848/49 in Apothekerkunde unterrichtete. Fontanes Mutter war mit dem hier seit 1847 wirkenden Pastor Ferdinand Schulz (18111875) bekannt.

3 Theodor Fontane befand sich im Aufträge der ministeriellen Preußischen (Adler)-Zeitung in England.

4 Bernhard von Lepel schrieb am 23. 5. 1852 an Theodor Fontane u. a.:Von Deiner Ankunft in London (von der Du eigentlich nichts schriebst) und den ersten Tagen Deines Aufenthaltes hab ich die Vorstellung, als seist Du wie verraten und verkauft in London gewesen.

5 Elisabeth Fontane war die achtzehn Jahre jüngere Schwester Theodor Fontanes. Sie wurde am 23. 4. 1838 in Mühlberg an der Elbe geboren und verließ im November 1874 Neuruppin, um am 26. 1. 1875 den Kaufmann Weber zu heiraten. Sie starb am 14. 7. 1923 im Alter von 85 Jahren in Berlin-Weißensee (s. Theodor Fontane jr.:Die Schwestern des Dichters Theodor Fontane. In: Fontane- Blätter, H. 19. 1974, S. 161-165).

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