Die Stadt hat allerdings noch einen gothisch-mittelalterlichen Charakter: selbst unter den neuen oder doch neu erscheinenden Häusern haben viele noch den Zackengiebel nach vorn. [Folgt Skizze eines agetreppten Giebels.] Die Kirchen sind alle aus Backstein und ihre Thürme haben alle die Nadel (Zuckerhutsform); diese völlige Uebereinstimmung, dies alles aus einem Guß sein macht einen sehr guten Eindruck. Es ist stylvoll. —
Die neuen Häuser, überhaupt dies und das, erinnert an Hamburg; mehr Aehnlichkeit aber, so scheint es mir, hat es mit Stettin. Hier wie dort steigen vom Fluß resp. Hafen an die Hügel aufwärts und auf diesem Hügelzug liegt die Stadt. Die Längsstraßen laufen wie der Hügelrücken von Süd nach Nord, die Querstraßen gehen von Ost nach West auf die Trave (d. h. auf den Flußhafen) zu. Der Eindruck — wiewohl alle Größe, alles Imposante, selbst aller Reichthum hin ist — ist doch sehr günstig und wohlthuend.
Man könnte Lübeck das spitzthürmige Lübeck nennen. Alle Kirchen haben den hohen spitzen Thurm, außerdem aber findet sich an Thoren, Portalen, Dächern vielfach (oft fast klein-minarettartig) ein schlankes Spitzthürmchen angebracht.
Sehr hübsch sind die kleineren Thürme einzelner Kirchen, die sogenannten Dachreiter. Sie zeigen zum Theil, mehr als es die großen Thürme thun, den reichgegliederten gothischen Charakter.
Sonst Bemerkenswerthes:
1. Die Dienstmädchen tragen ein ganz kleines Tüllhäubchen, das nur über den Dutt, den zusammengelegten Haarzopf paßt.
2. Die Marktfrauen (vielleicht aus der Vorstadt oder vom Lande) tragen merkwürdig geformte Strohhüthe. IFolgen Skizzen.]
3. Die Fensterkrammen, 110 um inwendig einzuhaken, haben nicht bloß eine Oese, sondern an der Oese noch eine vorstehende, geschweifte Verzierung von 1 Zoll Länge, das ist sehr praktisch. Dieser Vorsprung wirkt nun wie ein kleiner Hebel und man kann leichter auf- und zumachen.
4. Die Auf lader 117 (wahrscheinlich eine Art „Gilde“ oder „Compagnie“ wie in Breslau) vierschrötige, ramassirte Kerle. Mit Kniehosen, hohen wollnen Strümpfen und Schuhen (oder auch mit hohen blanken Stiefeln die bis ans Knie gehn) und darüber ein kurzer Kittel, der durch seine Kürze etwas Joppenartiges erhält. Das Ganze kleidsam. (Es sind auch einfach Gepäckträger.)
Der Hafen erinnert noch an die Zeiten, wo der Ostsee-Handel in Lübecks Händen war. Schon die Namen der Dampfschiffe, die von hier aus den Verkehr unterhalten a: „Newa, Kaiser-Alexander, Bager, Viken, Halland“ deuten auf den vorherrschenden Verkehr mit Rußland, Finnland, Schweden, Norwegen, Dänemark hin.
Der Dom 118 (zweithürmig) liegt nach Süden.
Die Burg lag im Norden; das Burgthor 119 existirt noch.
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