ich glaube, Sie wollten keine Politikerin, Sie wollten eigentlich eine Dichterin sein! Wollen Sie das sein, dann dürfen Sie noch nicht mit sich abschließen, dann dürfen Sie’s nie. Immer müssen Sie dann bildsam bleiben, immer jung, immer voll Empfänglichkeit, und Sie haben noch viel Schönes, viel Großes zu empfangen. [...] Prüfen Sie nochmal da, wo Sie schon oft, wie Sie meinen, gründlich geprüft haben; haben Sie nochmals Vertrauen, etwas zu Anden, wo Sie jetzt noch nichts sehen. [...] Sie sollen in der ganzen Richtung Ihres Geistes von dem primo superbo ablassen, wie Dante, der größte Dichter aller Zeiten, das nennt, was ich meine. Aber verlangen Sie nicht, daß ich Ihnen nun noch näher angebe, was Sie sich selbst sagen können und sollen. Und können Sie es nicht, so lesen Sie jenen genannten Großen, und Sie werden es wissen.“
Lepel versäumt nicht, noch weitere eindringliche Worte an Fanny Lewald zu richten und deutlich auszusprechen, was er von ihr erwartet: „Sie sollen suchen, Sie sollen an sich suchen, Sie sollen solange suchen, bis Sie endlich die Augen öffnen und sich selbst sagen, daß Sie bisher blind waren. [...] Mein Zuruf lautet: Wollen Sie ein Kind sein, glauben Sie gern es zu sein, und wollen Sie nicht reif sein. Unmündig sollen Sie sein!“ Gegen Schluß seines Briefes scheint Lepel allerdings die Einsicht zu dämmern, daß man die Aufforderung, ein „Kind“ und „unmündig“ zu sein, am allerwenigsten an Fanny Lewald richten durfte. Resignierend bemerkt er: „Denn man kann Ihnen noch so viel sagen; aber ich fürchte. Sie wenden sich lächelnd ab.“
Lepels Schreiben beantwortete Fanny Lewald etwa sieben Wochen später mit einem längeren Brief. Sie legte darin Grundpositionen ihrer Weltanschauung dar, die sie Lepel sicherlich bereits des öfteren mündlich entwickelt hatte, und schrieb:
Berlin, d. 6. Februar 49
Mein lieber Freund!
Ich habe lange angestanden, ob ich Ihnen schreiben solle, ob nicht? weil dieser Brief leicht zu einer Lebensfrage werden kann, deren Lösung man in der Freundschaft gern so weit als möglich hinausschiebt. Ich hoffte und erwartete wohl mit Recht, daß Sie, der allsonntäglich in die Stadt kommt 7 , einmal bei mir vorsprechen würden. Dies ist nicht geschehen, und so muß ich Ihnen am Ende schreiben, damit Sie wissen, was ich denke.
Sosehr ich überzeugt bin, daß Sie jenen Brief, der mich auf das Christentum hinweisen sollte, in der besten Absicht schrieben, und so dankbar ich diese anerkenne, begreife ich nicht, was Sie dazu bewegen konnte. Sie sagen, es beunruhige Sie, mich so fertig, so abgeschlossen zu finden^, und Ihnen sei bange um das poetische Element in mir.
So fertig und abgeschlossen war ich, ehe ich mein erstes Buch schrieb; so fertig und abgeschlossen, das heißt, in mir selbst gefestet war ich auch, als Sie mich kennen lernten. Eine weniger fertige und in sich abgeschlossene Frau hätte schwerlich den Mut gehabt, jedem qu’en dira t-on zum Trotze ihre Begleitung, die Begleitung eines jungen Mannes, für eine so weite, einsame Reise anzunehmen 9 .