Heft 
(1979) 29
Seite
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sehen erniedrigt zur gedankenlosen Sklaverei, wenn er in seiner Voll­kommenheit zur Ausführung kommt.

Lieber Lepel! Prüfen Sie sich selbst sind Sie heute noch derselbe, den ich kennenlemte? Sind Sie sich in jeder Stunde so treu geblieben, dem innern Gotte, als ich? Sie haben das Unrecht begangen, eine Unwahr­heit aus Schwäche in Ihr Leben zu bringen; und wenn diese Schwäche die edelsten, achtbarsten Quellen hatte, die Unwahrheit rächt sich; Sie sind halb und in sich unklar geworden. Christentum und individuelle Frei­heit, Christentum und politische Freiheit gehen nicht zusammen! Sie würden heute nicht mehr die Vollkraft männlichen Bewußtseins haben, aus der das Gedicht hefvorging: sie konnten nichts, als ihn vergiften 13 .

Ich habe von je nicht wie ein kokettes Weib, sondern wie ein ernster Freund Ihnen gegenübergestanden, und wir fanden uns ineinander zu Recht in dem dichterischen, männlichen, menschlichen Streben nach Freiheit. Jetzt schwanken Sie zwischen diesen und den christlich-roya- listischen Ansichten Ihrer Frau und statt die Seele dieser jungen Frau, die Sie lieben, zu erweitern zu freierem, urteilendem Verständnis von Welt, Menschen und Natur, geben Sie sich in die Bande des Christentums gefangen und versuchen, mich, die, in ihrer Richtung seit Jahren fest, immer wahr und sich selbst getreu, den schweren Weg durch das Leben gefunden hat, ebenfalls mit Begriffen zu fesseln, die mir so wenig passen können als die Kleider, welche ich nach meiner Geburt getragen habe. Fragen Sie sich selbst, ob darin Gerechtigkeit, ob darin Konsequenz liegt? Ich denke nicht daran, Frau von Lepel von ihrer Ansicht zu bekehren, wenn sie Trost darin findet ich werde ruhig, wenn schon mit Schmerz, ansehen, falls auch Ihr gesundes Auge sich mit den trüben Schleiern der Jenseitigkeit umflort aber achten Sie auch meine Überzeugung, von der Sie selbst gesehen haben, daß sie Stich haltend ist in Glück und Leid, besonders da Sie wissen, daß der Pantheismus des antiken Heidentums der Kunst zehntausendmal förderlicher gewesen ist als das Christentum

ja! daß die Kunst erst wieder erstand, als man an das Christentum nicht mehr glaubte. Oder meinen Sie, daß Rafael, die Farneses, die Medizäer an Jenseitigkeit und Askese glaubten? Der Protestantismus vollends ist das poesieloseste, unfruchtbarste Element für die Kunst. Nein! weder zu meiner Seelenberuhigung noch als poetische Schöpfungs­quelle bedarf ich des Christentums, des persönlichen Gottes und des Jenseits und ich weise vielmehr dies alles bestimmt von mir ab; es existiert kein Widerhall dafür in mir.

Und so lassen Sie mir meine abgeschlossene Ganzheit, die fähig ist, alles Wahre, Schöne, in der Diesseitigkeit Erfaßbare mit begeisterter Liebe in sich aufzunehmen, und nur gegen Halbes und Unklares, Unfreies sich streng und bestimmt abschließt. Können Sie diese Richtung verstehen, ehren und achten, so wissen Sie, wie willkommen und wert Sie mir sind

haben Sie die Freiheit Ihrer Natur so weit auf gegeben, daß ohne Christentum für Sie kein Heil ist, so bleibt Ihnen nichts übrig, als mich aufzugeben; denn jenes Mäkelnan all den Freunden, deren Bilder Ihre Wände füllen, würde ich nicht ertragen und habe ich Ihnen so

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