übel genommen als den schon oft wiederholten Vorwurf, daß ich Ihnen nicht zuhöre, wenn Sie mit mir sprechen. Und doch, dächte ich, war ich mit ganzer Seele dabei, als Sie mir von Ihrem Leben und Treiben, von Ihrem Ergehen seit unserer Trennung, von Ihren Leiden und der Besserung der Zustände erzählten.
Antworten Sie mir nicht gleich, denn die Sache ist ernst, und man gibt sich schwer auf, wenn man sich in achtender Freundschaft nahegestanden hat. Prüfen Sie sich selbst — sind Sie noch der freie Bernhard Lepel, der Sie waren? Der auf gegangen war in den antiken Elementen der Menschlichkeit? —
Ich werde es mit dem tiefsten Schmerze sehen, wenn Sie diese Richtung mehr und mehr verlassen sollten — aber ich würde mich nicht unterfangen, sie Ihnen entziehen zu wollen, wenn Sie sich so durch und durch befriedigt und ausgefüllt davon finden als ich mich von der meinen.
Möchten Sie glücklich und zufrieden sein und Großes schaffen! Dies wünsche ich Ihnen von Herzens Grund, denn ich habe Sie lieb.
Fanny Lewalcl
Anmerkungen
1 Der Roman „Prinz Louis Ferdinand“ erlebte zwei neue Ausgaben (Berlin 1926 und Berlin 1929). Ferner kam der Roman „Die Familie Darner“ noch einmal heraus (Königsberg 1925). H. Splero publizierte erstmalig das 1865/66 entstandene „Römische Tagebuch“ der Lewald (Leipzig 1927), während R. Göhler den Briefwechsel Fanny Lewalds mit dem Großherzog Karl Alexander von Weimar (Berlin 1932) sowie etliches „Aus dem Nachlaß von Fanny Lewald und Adolf Stahr“ herausgab (in: Euphorion. Bd. 31. 1930, S. 176—248). In der DDR erschienen das „Italienische Bilderbuch“ (Berlin 1967) und der historische Roman „Jenny“ (Berlin 1967) in neuer Ausgabe, beide von Therese Erler herausgegeben. Einige Briefe der Lewald sind aufgenommen worden in den Sammelband „Frauen im Aufbruch. Frauenbriefe aus dem Vormärz und der Revolution von 1848. Hrsg, von F. Böttger“ (Berlin 1977, S. 352—397).
2 Dieser Brief sowie die anderen Briefe der Lewald an Lepel, aus denen im folgenden zitiert wird, befinden sich im Besitz der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin. Insgesamt erwarb die Universitätsbibliothek 1929 aus dem Nachlaß Bernhard von Lepels 18 Briefe der Lewald an ihn, die aus den Jahren 1846 bis 1849 stammen. Die Briefe enthalten u. a. interessante Bemerkungen über Zeitgenossen wie Herwegh, Varnhagen von Ense, Bettina von Arnim und, vor allem, Theodor Fontane. — Der Verfasser dankt dem Direktor der Universitätsbibliothek, Frau Dr. W. Irmscher, für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung des Briefes.
3 Vgl. Theodor Fontane und Bernhard von Lepel: Ein Freundschafts-Briefwechsel. Hrsg, von J. Petersen. Bd. 1. München 1940. - Das Verhältnis Lepels zur Revolution und — im Gegensatz dazu — Fontanes Bekenntnis zur Revolution haben Fanny Lewald und Adolf Stahr offenbar besonders beschäftigt. Denn Fanny Lewald berichtete Lepel ln ihrem Brief vom 26. Juli 1848: „Sie müssen in den Märztagen viel gelitten und sehr viel an mich gedacht haben. Ich wußte das. Merkwürdigerweise hat Prof. St[ahr] mir neulich schriftlich eine ganze Novelle über die Konflikte unserer Zeit komponiert, wo er Sie Ihrem Freunde Fontänen auf der Barrikade gegenüberstellte. Es hat mich heute recht frappiert.“
4 Vgl. F. Lewald: Erinnerungen aus dem Jahre 1848. Bd. 1. Braunschweig 1850.
5 Zitiert bei Marieluise Steinhauer: Fany Lewald, die deutsche George Sand. Charlottenburg 1937, S. 91, Anmerk. 192 (Berlin Phil. Diss. 1937).
6 Für den Hinweis auf den Brief Bernhard von Lepels, der sich im Lewald- Stahr-Nachlaß in der Deutschen Staatsbibliothek, Berlin, befindet, dankt der Verfasser Herrn Dr. Hans-Erich Teitge, Direktor der Handschriften-Abteilung. Der Deutschen Staatsbibliothek sei für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung gedankt.
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