Unmittelbare Bezugnahme auf Fontanes Kunstanschauungen liegt in den Versen auf den Schauspieler Arthur Vollmer vor, wenn es zum Beispiel heißt:
„Das Pathos war dir immer spanisch,
Es webt und summt in deinem Spiel Ein Ton, der ist beinah fontanisch (Als Gegenstück zum Freskostil).
Du bist so schüchtern, gar nicht herrisch,
Kein Rampenbold und Bretterheld.
Was leise gütig, leise närrisch,
Ist deine wunderhübsche Welt..." 1
Diese Verse stehen in Band V der „Welt im Drama“, betitelt „Das Mimenreich“, nicht allein. Sie besitzen starke Entsprechungen in den Gedichten auf die Schauspieler Oskar Sauer und Pagay . 2 In Anknüpfung an Fontanes künstlerische Forderung nach Wahrhaftigkeit und Natürlichkeit, nach verhaltenem Pathos und Dezenz preist Kerr die menschlich-künstlerische Noblesse, das tiefe Einfühlungsvermögen und das bewegende Ensemblespiel bedeutender „leuchtender Seelenschauspieler“ der Brahm- und Reinhardt-Ära, die Fontane zum Teil noch kennengelernt hatte 3 . Kerr unterscheidet sich dabei von seinem Vorgänger durch eine noch stärker verinnerlichte Sicht des Darstellers, die in der Entwicklung der Bühne Otto Brahms zum „Menschenbethaus ohne Mesner “ 4 reale Grundlagen besitzt, und durch die „Kembelichtung“ von Künstlern in Versen, in der er in Anknüpfung an die romantische Auffassung von der Kritisier- barkeit von Kunst allein durch die Poesie das eigene kritische Verdichtungsstreben zunächst einmal feiernd vollendete.
Auch Kerr ist wie Fontane primär Künstler. Im Unterschied zu Fontane als episch-objektiver Begabung war er jedoch ein lyrisch-subjektives, ein impressionistisch-musikalisches Talent. „Bleibe: um Musik zu machen “ 5 und „Weltempfindung (mit Musike )“ 0 sind für seine Kunstauffassung höchst charakteristische Verse.
Gedichte haben beide geschaffen, aber mit gravierenden unterschiedlichen Akzenten. In Fontanes objektiver episch-lyrischer Konzeption dominieren notwendig Ballade und Spruch, Naturstimmung und Gelegenheitsgedicht 7 . Bei Kerr dagegen begegnet uns Balladeskes vorerst kaum. Episch ließ er eigentlich nur „Irrungen, Wirrungen“ und Flauberts „Education sentimentale“ gelten. Seine lyrisch-subjektive Begabung artikulierte sich außer in der auch zu spruchhafter Zusammenfassung tendierenden Kritik und außer im Reisebild im impressionistischen und spruchhaften Gedicht. Impressionistisches Gedicht und Spruchverse zeigen die engsten Beziehungen zwischen den Lyrikern Kerr und Fontane, zugleich jedoch die entscheidenden Unterschiede. Typologisches und Genetisches durchdringen sich dabei. Später, in der Weimarer Republik und besonders in der Emigration, treten bei Kerr das politische und Weltanschauungsgedicht stärker hervor, und seine Lyrik gewinnt neue, über Fontane und dessen Zeit hinausreichende Dimensionen.
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