Heft 
(1979) 29
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hatte und seitdem verschwunden war. Es verbreitete sich daher das Gerücht, daß der Vermißte hier ermordet worden war und sein Fuhrwerk in die Oder gefahren worden sei; auch wollte man Blutspuren, die später weggescheuert waren, in dem Gasthofe beobachtet haben. 10

Theodor Fontane hörte und erlebte in der Folgezeit, er weilte u. a. auch vom August 1843 bis April 1844 in Letschin, die Auswirkungen, die der Leichenfund hatte.

Vor allem durch das Gerede der Dorfbewohner geriet der Gastwirt Fit- tinger sehr bald in den finanziellen und moralischen Bankrott. In wieweit er durch eigenes Fehlverhalten, wie plötzliche große Geldausgaben, falsch gedeutete oder unklare Bemerkungen u. a. zu seiner eigenen Mißlage beigetragen hat, muß heute offen bleiben. Tatsache ist aber, daß behörd­licherseits, außer der Nachfrage 1836/37 nach dem Getreidereisenden, nichts gegen Fittinger unternommen wurde, er also juristisch frei blieb, trotzdem aber bankrott ging.

Dieser Vorfall war für einen kleinen Ort wie Letschin (2630 Einwohner im Jahre 1844)das Ereignis, das von den Dorfbewohnern entsprechend intensiv diskutiert wurde und zweifelsohne auch Theodor Fontane zu einigen Kombinationen inspiriert hat.

In seiner 1884/85 geschriebenen KriminalnovelleUnterm Birnbaum zeigt er noch einmal die ganze Vielfalt der Dorfmeinungen auf.Allerlei Geschichten wurden ausgesponnen, auch Liebesgeschichten, in deren einer es hieß, daß Anno 13 ein in eine hübsche Tschediinerin verliebter Fronzose beinahe täglich von Küstrin her nach Tschechin gekommen sei, bis ihn ein Nebenbuhler erschlagen und verscharrt habe. Diese Geschichten ließen sich auch die Mägde nicht nehmen, trotzdem sich ältere Leute sehr wohl entsannen, daß man einen Chasseur- oder nach anderer Meinung einen Voltigeur-Korporal einfach wegen zu scharfer Fouragierung beiseite gebracht und stillgemacht habe." Für die zuletzt gemachte Äußerung ergeben sich in der Geschichte des Ortes aus verständlichen Gründen nur geringe Anhaltspunkte. Ein örtlicher Chronist berichtet über die Besetzung Letschins durch die Franzosen:

In Letschin sind sie in der Ölmühle mit ihren schmutzigen Stiefeln in die Ölfässer getreten, um das Einfetten schnell und gründlich zu besorgen. Dann zerschlugen sie die Fässer, daß der Inhalt auf den Boden floß. In der Kirche wurden von den Altardecken die Fransen getrennt. Sie haben die goldenen Stickereien ausgeschnitten und die Leuchter eingeschmolzen.

.. Die Brote höhlten sie aus, warfen sie in die Jauchgruben und verlangten Weißbrot. Die Betten wurden aufgeschnitten und die Federn ausgeschüttet. 12

Diese zitierten Ereignisse waren zwar dazu angetan, den Haß gegen die französische Fremdherrschaft zu schüren, ob sie auch Grund genug für einen Totschlag waren, läßt sich heute nicht mehr rekonstruieren. In I.etschin wurde aber solch eine Tat offiziell nie bekannt. Ganz auszu­schließen ist ein Totschlag aber nicht, wie es das Beispiel aus Sachsendorf, einem Nachbarort, zeigte. Dort erschlug der Bauer Gotfried Weiß in

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