Mehr noch als das Motiv der Kriminalnovelle und die handelnden Personen es zeigen, zeigt die geographische Einordnung des Dorfes und die Beschreibung der einzelnen Baulichkeiten, daß der Ort Letschin in seiner Gesamtheit eindeutig Träger der Handlung und damit das Urbild des Novellendorfes „Tschechin“ ist.
4. Fazit
Theodor Fontane verarbeitete 1884/85 eigene Erlebnisse bzw. aus erster Hand mitgeteilte Ereignisse, die bereits über vierzig Jahre zurücklagen, zu einer Kriminalnovelle.
Er spitzte in der Novelle die wahren Ereignisse zu und ließ das Gerede der Dorfbevölkerung zur Wirklichkeit, zum Mord, werden.
Neben dem Motiv seiner Novelle bezog er auch den Ort Letschin mit seiner geographischen Lage, seinen Baulichkeiten und seinen Bewohnern in die Handlung mit ein.
Lediglich die Namensänderungen, die oft aber nicht einmal groß waren, wie Eccius — Eccelius oder Kümmritz — Kunicke zeigen, das Heranlegen der Oder direkt an den Ort, sowie der geschilderte Mord, der nachweisbar nur im Gerede der Dorfbewohner existierte, geben der Handlung damit eine gewisse Anonymität, machen aus einem Tatsachenbericht eine Kriminalnovelle.
Die wenigen, aufgezeigten Veränderungen, die Theodor Fontane zur Umgestaltung und Dramatisierung der Wirklichkeit vornahm, teils aus literarischen Gründen, teils aus juristischen Gründen, um mit dem Handlungsort und eventuell noch lebenden Personen bzw. deren Nachkommen nicht in Konflikt zu kommen und den erlebten „Letschiner Rufmord“ nicht auf literarischer Ebene noch einmal nachzuvollziehen, täuschen aber nicht darüber hinweg, daß Bewohner und Gemeinde Letschin Ursprung und Träger der Kriminalnovelle „Unterm Birnbaum“ sind. Zweifelsohne sind auch die Familie Hradschek in der Kriminalnovelle und die Familie Louis Henry Fontane, zumindest in ihrer Letschiner Zeit, nicht gänzlich voneinander zu trennen, wie ohnehin einmal zu überprüfen wäre, wie weit biographische Züge der Eltern Theodor Fontanes, besonders des Vaters, in die Novelle mit einfließen.
All die aufgeführten Fakten sollen die herausragende Leistung Theodor Fontanes zeigen und würdigen helfen, der ein halbes Menschenleben nach dem Ereignis eine Kriminalnovelle schrieb, von der H. H. Reuter zu Recht sagte:
„Das kleine Werk gehört zu den wenigen bedeutenden Kriminalerzählungen der deutschen Literatur.“ 43
Anmerkungen
1 Manfred Gill: „Theodor Fontanes Aufenthalte in Letschin“, in Fbl. Bd. 3, Heft 6.
2 Joachim Schobeß: Unveröffentlichte Briefe... — In: Fontane-Blätter. H. 25, Anmerkung 9, S. 8—9 (1977).
3 Kirchenbuch LetsChin, Aufgebotene und Getraute 1850.
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