Christa Schultze (Berlin)
Fontanes Beziehung zu Hermann Schauenburg
Vor über vierzig Jahren bezeichnete Charlotte Jolles Fontanes Skepsis hervorrufende Schilderung seiner Jugendjahre in „Von Zwanzig bis Dreißig“, darunter der Leipziger und Dresdener Zeit, als eine „besondere Irrtumsquelle“ 1 für die Erkenntnis seiner frühen politischen Einstellung. Die Forscherin machte deutlich, daß „gerade das Jahrzehnt zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr Fontane in einer so stetigen Entwicklung und so bewußt seinen eigenen Weg gehen [zeigt], wie es ihm dann seit 1850 nicht mehr vergönnt war“. 2 Daß die „allzu durchsichtige Ironisierung der Her- wegh-Zeit“ 3 heute in vielem aufgehellt ist, verdankt die Forschung in er ster Linie der Jubilarin. Ihre richtungweisenden Arbeiten 4 regten auch den folgenden, sich als Baustein zu Fontanes Biographie verstehenden Versuch einer Nachvollziehung der Begegnungen mit einem seiner damals politisch engagiertesten Freunde an.
Eine Besonderheit der Beziehung Fontanes zu dem Mediziner Hermann Schauenburg ist, daß die Kontakte zu diesem Jugendfreund aus der Leipziger Zeit, der ihm zwar nicht ganz so nahe stand, wie die ohnehin eine Sonderstellung einnehmenden Freunde Wilhelm Wolfsohn und Max Müller, bis in die siebziger Jahre sporadisch immer wieder auflebten. Dies beweisen auch die beiden weiter unten anhand des Abrucks aus dem Jahre 1900 durch Heinrich Meisner 5 erneut vorgelegten Briefe Fontanes von 1855 und 1872, in denen das freundschaftliche Du beibehalten ist. Im Gegensatz zur Verfahrensweise mit anderen Bekannten aus der Jugendzeit gedenkt Fontane in „Von Zwanzig bis Dreißig“ Schauenburgs relativ ausführlich. Er benutzt ihn als „Gegenstück“ zu dem zweiten aus Westfalen gebürtigen Hermann, ohne jedoch deutlich zu machen, daß beide, Hermann Schauenburg und Hermann Kriege, die sich schon aus der Schulzeit kannten, durch ein enges geistiges und politisches Band miteinander verknüpft und 1841/42 gemeinsam die Seele und treibende Kraft der (seit 1834 verbotenen) Leipziger Burschenschaft waren. Aktiviert von Kriege, der in sich „eine heilige Mission“ 0 spürte, im unterdrückten und zerrissenen Deutschland das Freiheitsstreben der Studenten wachzurütteln und anzufeuem, wurde Schauenburg der Initiator der im Wintersemester 1841/42, und zwar im letzten Drittel 1841, gegründeten studentischen „Allgemeinheit“ in Leipzig. Weder Reuter noch Nürnberger erwähnen in ihren ausführlichen Darstellungen von Fontanes Leben bzw. Jugendjahren auch nur den Namen Schauenburg. 7 Doch war unter allen von Fontane genannten Leipziger Freunden zweifellos er es, dem der junge Apotheker zuerst näherkam, denn nur dank der von Schauenburg initiierten, auch Nichtstudenten in bestimmten Kränzchen offenstehenden „Allgemeinheit“ 8 gelangte Fontane in die Gemeinschaft dieser der Dichtkunst ergebenen Studenten, die er als „Herwegh-Klub“ bezeichnete. Dem Bemühen Schauenburgs um einen sittlichen Lebenswandel und um ernsthaftes geistiges Streben unter den Studenten widmete Fontane schon Ende 1841 eine (erstmals 1969 von Helmut Richter nach
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