Heft 
(1979) 29
Seite
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Wie drängt mein ganzes Wesen sich zu Dir!

Und ob wir selten nur uns noch gesehen,

Es künden Deiner Lieder Stimmen mir,

Daß wir als Freunde bald zusammenstehen 31 ,

worauf Wolfsohn nicht versäumte, als Carl Maiendem Bruderherzen in Versen zu antworten. Auf einer Rundreise durch Deutschland zum Zwecke der endgültigen Etablierung in der Wahlheimat suchte der aus Odessa stamende Wolfsohn Anfang Oktober 1851 Schauenburg in Bonn auf. Am 25. Januar 1852, kaum in Dessau ansässig geworden, teilte er Fontane mit:Im Oktober habe ich mit Schauenburg in Bonn ein paar Tage zugebracht. 35 Fontanes anschließender Besuch bei Wolfsohn in Dessau im Februar 1852 bot dem Gastgeber Gelegenheit, Einzelheiten über Schauenburgs derzeitiges Leben an den Berliner Freund weiterzu­geben. Wolfsohns Beurteilung des gemeinsamen Freundes aus Leipziger Tagen wird der Charakteristik ähnlich gewesen sein, die er unmittelbar nach seinem Besuch bei Schauenburg in einem Brief vom 10. Oktober 1851 an diesen formuliert hat. Der vor und nach der Revolution viel Umhergeworfene hatte damals gerade eine Stelle als Assistenzarzt an der chirurgischen Klinik in Bonn angetreten, um sich dort Ostern 1852 zu habilitieren und dannmehrere Jahre als akademischer Leiter mit gutem Erfolge, besonders auf dem Gebiet der Augenheilkunde zu wirken* Wolfsohn schrieb ihm am 10. Oktober 1851:Wie innig unsere Begegnung mich erfreut hat, Du hast es mir abgefühlt. Daß ich, bei allem Emst des Lebens und der Wissenschaft, bei aller Hingebung an Deinen praktischen Beruf Dich noch so frisch, so warm und treu in Deiner Gesin­nung gefunden, ist mir eine der wohltuendsten Erfahrungen, die mich auf lange hin für sehr trübe schadlos halten wird. Du gehst nun einen sichern und aufsteigenden Weg; nimmt zu kräftigem Fortschreiten auf demselben und zu baldiger Erreichung eines schönen Zielpunktes die herzlichsten Segenswünsche. 37

Daß dieser Weg nicht so geradlinig verlief als hier gewünscht, erfuhr Fontane im Dezember 1854 durch Schauenburg selbst, als dieser sich in Berlin aufhielt. Fontane berichtete darüber dem inzwischen in Dresden ansässigen Wolfsohn am 18. Dezember 1854:Gestern und heut war ich mehre Stunden mit unsrem Schauenburg zusammen. Es geht ihm ganz schlecht; seine Frau 38 ist brav und gut und das Verhältnis zwischen beiden ungetrübt aber die übrige Familiensauce (Schwiegermutter, Schwäger und Schwägerinnen) weniger schmackhaft als sonst die hol­ländische zu sein pflegt. Du weißt, die würdige Familie ist aus Holland. Er geht nun ins russische Hauptfeldlazarett nach der Krim, weil ihm die häuslichen Verhältnisse (er hängt von seiner Schwiegermutter ab) un­erträglich geworden sind. So hat doch jeder seinen schweren Packen zu tragen! Er grüßt Dich aufs herzlichste. Wahrscheinlich ist er morgen Abend schon auf dem Wege nach Warschau. 39

Wie der weiter unten abgedruckte Brief Fontanes vom 22. Juli 1855 zeigt, belebte diese Begegnung die Beziehungen zwischen den alten Leipziger Freunden aufs Neue. Das Wiedersehen ist auch Gegenstand von Fontanes

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