Erinnerungen in „Von Zwanzig bis Dreißig“. Aus ihnen ist bekannt, daß aus Schauenburgs beabsichtigter Tätigkeit als Militärarzt im russischen Feldlazarett nichts wurde, weil ihm schon in Berlin „das hochfahrende Wesen... auf der russischen Gesandtschaft“' 10 nicht behagte. Schauenburg übernahm nun neben seiner ärztlichen Tätigkeit in Bonn (privat war er in das nahegelegene Godesberg übergesiedelt) zum zweitenmal die Redaktion eines Jahrgangs des „Düsseldorfer Künstleralbums“, das im Verlag von Arnz und Co. erschien. Außer anderen alten Freunden wie z. B. Wolfsohn, Jacob Burckhardt (Eminus) und Hoffmann von Fallersleben forderte er auch Fontane zur Mitarbeit an dem Künstleralbum auf, doch wurde nichts daraus.' 11 Fontanes Antwortbrief, in dem auch der am 2. Mai 1853 geborene Sohn Carl erwähnt wird, hat Heinrich Meisner, damals Oberbibliothekar an der Königlichen Bibliothek zu Berlin, im Jahre 1900 im 339. Heft von Rudolf Virchows Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge (S. 24 f.) veröffentlicht, leider ohne den Standort der Originale anzugeben. Wir legen ihn hier erneut vor, wie auch einen weiteren am selben Ort (S. 36) von Meisner publizierten Brief Fontanes an Schauenburg, in dem er sich 1872 für die Übersendung der 2. Auflage von Schauenburgs unter einem Pseudonym erschienenen, im Krieg von 1870/71 spielenden Lustspiel „Das Reservelazarett in Schöppenstedt“ 42 bedankt und gleichzeitig einen Ratschlag für die Erzählung des Kürassiers Böcker im dritten Akt erteilt.
1. Theodor Fontane an Hermann Schauenburg
Berlin, den 22. Juli 1855
Louisenstr. 35
Mein lieber Schauenburg.
Ich denke mir, Du wirst so gut wissen als ich es Dir schreiben kann, daß einem, dem allerliebsten Freunde gegenüber, in Bezug auf Briefschreiben, allerlei Menschliches zu passieren pflegt. Ich halte mich deshalb mit Entschuldigungen nicht lange auf; übrigens war Dein Brief — was ich von meiner Schuld abzuziehen bitte, drei Wochen alt, als ich ihn erhielt.
Du hast Recht, daß meine Frau die kurzen Notizen über Dein und der Deinen Wohlergehn mit herzlicher Freude gelesen hat und sie trägt mir die besten Grüße für Dich und Gattin und Stammhalter auf. Sebastopol stand am lOten Mai während Du schriebst und steht vermutlich auch heute noch, wo ich nach dritthalb Monaten Deinen Brief beantworte. Mit einer Art Graun leg’ ich mir die Frage vor: wie lange wird es noch stehn? wie viel Blut soll auf diesem kahlen Plateau noch fließen? soll dieser unfruchtbare Stein durchaus fruchtbar werden — zwei Quadratmeilen Menschenhumus?! Was Dich angeht, so sei froh, daß Du Deinen Kopf sorglos in den Schoß Deiner Frau legen kannst; es muß sich in Sebastopol in jenen Nächten schlecht schlafen, wo 10 000 Bomben auf dasselbe niederfallen.
Die 5 Reichstaler erhielt ich pünktlich und sandte sie weiter. Die Briefe sind alle besorgt. Lehnert hab’ ich nicht gesprochen; könnte überhaupt nur mittelbar an ihn heran.
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