Stande ist, eine riesige Kriegsentschädigung zu erlegen. „Uns hätten die fünf Milliarden ruiniert; die Franzosen gehen drüber hin“, 15 sagt er staunend. Er behauptet, für den Durchschnittsfranzosen sei „das Sparkassenbuch das Buch aller Bücher“; 16 er muß allerdings auch folgendes zugeben: „Die Anbetung des goldnen Kalbes aber ist Zeitkrankheit, die über zu finden und in Frankreich schwerlich zuerst in ihren krassesten Formen aufgetreten ist“. 17
Wie soll man also die Niederlage Frankreichs erklären? Fontanes Antwort auf diese Frage findet sich in seinem Kriegsbuch über 1870/71. Sie ist verblüffend: „Der endliche Ausgang ist bekannt, er kam, weil er kommen sollte...“. 18 Fontane findet es sinnlos, Napoleon III., der durch vier Volksabstimmungen legitimiert war, anzuklagen: „Er hat, und dies vor allem sei betont, Frankreich nicht degradiert, nicht in den Sumpf der Verderbnis gezogen; die Lüderlichkeit ist uralt in diesem Lande“. 19 Nach Fontanes Überzeugung ist das kaiserliche Frankreich zusammengebrochen, weil es keinen Glauben an sich selbst hatte, und die Republik ist trotz unbestreitbarer militärischer Erfolge schließlich unterlegen, denn „die Demütigung des alten Hochmutsvolkes war beschlossen“; sie war ein „Schicksalsbeschluß“, 211 so lautet Fontanes Urteil aus dem Jahre 1875!
III.
Frankreichs Verfall.
In seiner Beurteilung Frankreichs unterscheidet Fontane sich von gewissen Publizisten, die damals in Preußen den Ton angaben. Der meistgelesene unter ihnen, Heinrich von Treitschke, definiert in seinem berüchtigten Artikel Was fordern wir von Frankreich? 21 das Nachbarland, von Ludwig XIV. über Napoleon I. bis zu Napoleon III., als eine Art Anti-Deutschland, als den Erbfeind und das ewige Hindernis für die nationale Einigung. Wie erscheint in diesem Zusammenhang das Frankreich des Jahres 1870? Wenige Tage vor dem Fall von Sedan, nämlich am 30. August 1870, wird es im hier erwähnten Artikel mit Haß und Verachtung dargestellt. Paris wird als „sittlich und politisch verwüstete Hauptstadt“ bezeichnet. Treitschke gibt zu, daß Frankreich 1815 „noch über eine Fülle sittlicher Kräfte gebot“, behauptet aber im gleichen Atemzug, die Gesellschaft des Zweiten Kaiserreichs, gekennzeichnet durch „die gierigen Träume der Herrschsucht“, haben „den Glauben an die idealen Güter des Lebens ganz verloren“.
Die französische Nation wird zugleich als „eitel“ und als dekadent dargestellt. Dafür gibt Treitschke drei Argumente an: Das politische Leben sei „wüst“, das Heer sei von „Lanzknechtsgeist“ erfüllt, das staatliche Gemeinwesen sei „zerrüttet“. Früher, so führt Treitschke aus, konnten sich die Franzosen ihrer „älteren Cultur“ rühmen, die jetzt im Verschwinden sei; die Grenzen zwischen der „guten“ und der „verworfenen“ Gesellschaft seien durch die „geile Frechheit der Pariser Halbwelt“ verwischt. 22 So sei es eine Pflicht für Deutschland, dieses „sinkende Volk“ durch Annektionen zurückzudrängen. Treitschke fordert nicht nur die
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