Heft 
(1979) 30
Seite
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(Eisenacher und Lassalleaner) sich zusammenfanden; sie alle waren Ver­fechter der Solidarität zwischen beiden Völkern und Anhänger eines Verständigungsfriedens ohne Annektion mit der französischen Republik. In diesem Meinungsstreit über die Haltung gegenüber dem besiegten Frankreich, der sich damals in der öffentlichen Meinung Deutschlands abspielte, steht Fontane gewissermaßen über den Parteien. Ohne ein erklärter Gegner der Einverleibung Elsaß-Lothringens zu sein, ermißt er jedoch die ganze Fragwürdigkeit dieser schwerwiegenden Maßnahme und kritisiert schonungslos das Verhalten der preußischen Militär- und Zivilverwaltung im annektierten Lande. 31 Ohne sich der radikalbürger­lichen und sozialdemokratischen These von der Solidarität beider Völker anzuschließen, weigert er sich jedoch, die Nachbarnation zu beschimpfen. Indessen, Fontanes Haltung wird noch lange Jahre hindurch bestimmt bleiben durch seinen prinzipiellen Vorbehalt gegenüber einem Frankreich, das mit derheiligen Überlieferung gebrochen hat. In den Jahren 1870/71 jedenfalls verhält er sich gegenüber revolutionären Theorien oder gar Bewegungen äußerst zurückhaltend.

IV.

Angst vor dem Umsturz.

Fontane und der Revolutionsgedanke: In dieser Zusammenstellung ist ein Fragenkomplex enthalten, der auch heute noch die Forscher zu wissen­schaftlichen Untersuchungen anreizen dürfte. In dem autobiographischen Werk Von Zwanzig bis Dreißig (1898) findet sich bekanntlich ein Kapitel, in dem Fontane eine wohl durchdachte Theorie der Volkserhebung entwickelt. Im Jahre 1870/71 dagegen denkt Fontane anders. Die Erinne­rungen an 1848 sind vorläufig in seinem Gedächtnis verblaßt. Gegenüber dem Frankreich der Revolution zeigte sich damals bei ihm eine aus­gesprochene Phobie, die durch jede subversive Erscheinung genährt wird, die er miterlebt oder beobachtet.

Einst hatte Goethe eine ähnliche Furcht vor der großen Revolution von 1789 empfunden; später sollte sich Thomas Mann von der Großen Oktober­revolution beunruhigt zeigen. Goethe, Fontane, Thomas Mann. Indessen, jeder dieser drei großen bürgerlichen Schriftsteller bemüht sich, in gleicher Weise, seine Revolutionsangst zu überwinden. Zunächst erfolgen Stellung­nahmen gegen den Umsturz; bei Goethe gibt es dafür zahlreiche Beispiele. Es sei hier nur auf einen charakteristichen Text hingewiesen, nämlich die Einführung zu den Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten (1795). Bei Thomas Mann finden sich gewisse Stellen, in denen sich Abneigung gegen den revolutionären Sozialismus zeigt, und zwar in den Betrachtungen eines Unpolitischen (1918). 32 Bei Fontane kommt die Revolutionsangst unreflektiert zum Vorschein, nämlich in seinen Reportagen aus Frankreich 1870/71.

Goethe wird nach und nach das Revolutionsereignis in seinen beiden größten Werken verarbeiten. Es ist hier an die revolutionären Themen aus Faust II und aus Wilhelm Meisters Wanderjahren zu denken. Eine

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