französischem Boden befindet, fixiert ist. Allerdings gibt er zu, diese erste Revolution, die durch Rousseauistische Gedankengänge beflügelt war, sei „ehrlich und gründlich“ 33 gewesen; dagegen sei „die jüngste Phase französischer Entwicklung“ auf Irrtum gegründet. 36 Fontane zitiert dazu ein Wort aus der Frühzeit Napoleons III.: Eine Revolution, die auf Irrtum gegründet ist, bringt nichts als Lärm und Tränen.
Diese Stellungnahme ist erstaunlich. Zur Not läßt Fontane die Revolution gelten, wenn sie als ein Ereignis aus der historischen Vergangenheit (1789) erscheint. 37 Aber er verdammt die Revolution, die sich, in ähnlicher Weise wie einst, vor seinen Augen vorbereitet (1870) und abspielt (1871).
Denn Fontane war tatsächlich Augenzeuge des Bürgerkriegs in Frankreich. Wie oben erwähnt, hat er es zwar sorgfältig vermieden, in das revolutionäre Paris „hineinzufahren“. Aber er nahm am 20. April 1871 die Gelegenheit wahr, einen der entscheidenden Kämpfe, nämlich die Schlacht von Asnieres, wenigstens mit dem Feldstecher von dem hochgelegenen Dorf Sannois, also aus ziemlicher Nähe, genau zu beobachten. Diesmal ist Fontanes Stellung zu dem Ereignis sozusagen neutral. Man lese: „Hier saßen wir, fast am Rande des Vorsprungs, blickten nieder in die Arena und sahen, wie die Versailler und die Föderalen, wie die dreifarbige und die rote Republik miteinander rangen. Für den Philantropen traurig, für den Maler entzückend“. 38
Wie man sieht: Der Bürgerkrieg wird von einem ästhetisch veranlagten Reporter geschildert. Das Zeitgeschehen wird in den Raum der schönen Künste hineingestellt. Eine fertige Romanseite hat der Leser vor sich; das Ganze findet man bei Fontane zwanzig Jahre später aufs Neue, nämlich im zweiundzwanzigsten Kapitel des Romans Quitt (1890).
Doch ist diese ästhetische Darstellungsweise hier eine Ausnahme. In der Regel erscheint bei Fontane im Jahre 1871 die rote Revolution als eine Apokalypse, als der Untergang einer ganzen Kultur. Er hatte damals in Saint Denis seinen Aufenthalt genommen, also in einer durch ihre Doppelbedeutung exemplarischen Stadt. Saint Denis ist zugleich die heilige Stätte der Basilika, in der sich die französischen Königsgräber befinden, und ein schmutziger Pariser Vorort, den anarchistische Elemente bevölkern, „denen es selbst in Belleville und Montmartre zu bourgeoishaft geworden ist“. 39 Im selben Atemzug spricht er folgenden symptomatischen Satz aus: „Jetzt ist das Kathedralen-Saint Denis in dem La Villette-Saint Denis, das Rot der Oriflamme in dem Massenrot einer andren Fahne untergegangen“ Z’ 1 ' Dazu folgendes: Einst empfingen bekanntlich die französischen Könige beim Auszug in den Kampf, die Kriegsfahne (oriflamme, aurea flamma. ein rotgoldnes Banner) aus den Händen des Abtes von Saint Denis; jetzt, 1871, ist an Stelle des Königsbanners die rote Fahne der Commune getreten; dieser Wechsel der Symbole bedeutet in Fontanes damaligem Denken den vollendeten Bruch des französischen Volkes mit seiner großen Vergangenheit. „Es hat aufgeräumt mit seinen gloriosen Erinnerungen“, heißt es etwas später im selben Kapitel. 41
461