Doch als Fontane diese Eindrücke gewinnt, geht der Bürgerkrieg bereits seinem Ende zu. Erst aus der Ferne, dann aus der Nähe hat er die fünf Akte des Dramas miterlebt. Sie seien hier auf gezählt:
1. Die Übergabe von Sedan und die Ausrufung der Republik (2. und 4. September 1870).
2. Die Zeit der Aufstände in Paris, Lyon usw. von Oktober 1870 bis Januar 1871.
3. Die Verhandlungen mit Bismarck (Waffenstillstand und Präliminarfrieden), die von der radikalen Linken als schändliche Kapitulation angesehen wurden.
4. Die Insurrektion vom 18. März 1871 und die Errichtung der Pariser Commune.
5. Die Niederwerfung der Commune während der Blutwoche, vom 22. zum 28. Mai 1871.
Es muß hier zum Abschluß noch auf die Stellungnahme Fontanes zur Unterdrückung der Insurrektion eingegangen werden. Um das mindeste zu sagen: Er zeichnet sich nicht durch eine besonders fortschrittliche Haltung aus. Man lese: „Haben die Massenfüsilladen, die Einkerkerungen und Transportationen, die dem roten Aufstande folgten und vielleicht noch weiter folgen werden, haben sie Blutigeres getan oder Härteres verhängt als der 2. Dezember? Nein und abermals nein. Tollheitsausbrüche, sobald die Macht wieder Macht wird, sind immer in derselben Weise gezügelt worden. Und mit Recht.“ 42
Nun, diese Sätze sind deutlich genug. Indem Fontane den Staatsstreich von 1851 und die Blutwoche von 1871 auf die gleiche Stufe stellt, behauptet er, es gäbe in der Geschichte ein permanentes Gesetz der Wiederherstellung öffentlicher Ordnung. Darf man ihm einen Vorwurf daraus machen, daß er die Niedermetzelung der Communekämpfer gutgeheißen hat? Seine Berliner Zeitungskollegen, von einer einzigen Ausnahme abgesehen, 43 haben den weißen Terror der Mai- und Junitage 1871 verurteilt, 44 während Fontane seine oben zitierte Zustimmung zu diesen Maßnahmen an auffallender Stelle ausspricht, nämlich gegen Ende des Schlußkapitels seines Erinnerungsbuches Aus den Tagen der Okkupation. Handelt es sich bei Fontane in diesem Zusammenhang um einen Sonderfall? Man könnte es annehmen, wenn man in seinem Buch nur die Reportage eines Berliner Journalisten sieht. Aber es ist auch (oder zu allererst) das Buch eines Schriftstellers von hohem Rang, das die Tragweite eines zeitgeschichtlichen Werkes besitzt und es dem heutigen Leser gestattet, hier einen wichtigen Abschnitt in der politischen Entwicklung des Autors zu erkennen, wie sich noch zeigen soll.
Es sei gleichzeitig daran erinnert, daß im Jahre 1871 alle bedeutenden Schriftsteller Frankreichs (außer Victor Hugo) die Commune negativ beurteilt haben. Sie seien hier aufgezählt: Flaubert, die Brüder Concourt, Theophile Gautier, Leconte de l’Isle, Alphonse Daudet, und selbst so fortschrittliche Geister wie George Sand und Zola; Fontane befand sich also in guter literarischer Gesellschaft.
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