V.
Der Communarde als dichterische Gestalt.
Wie und wann wird sich das negative Bild des Bürgerkriegs im Denken und in den Werken der damaligen Schriftsteller wandeln? Zola zeigt in dieser Hinsicht eine bemerkenswerte Unbeständigkeit. Im März 1871 erklärt er, er sei aus Instinkt ein Anhänger der Commune. Im April findet er die Insurrektion lächerlich. Im Mai sagt er, die Anführer der Erhebung seien gefährliche Irre. Im Juni fordert er Gnade für die Besiegten. 4 '** Viel später, im Jahre 1892, erscheint sein großer Roman über Krieg und Bürgerkrieg, dessen Schlußkapitel eine scharfe Verurteilung der Commu- narden enthält. Erst im Jahre 1898, also in der Zeit der Dreyfuß-Affäre, bekennt Zola, er sei Sozialist; bis zu seinem Tode (1902) wird er diese Überzeugung beibehalten.
Auch aus Fontanes Schriften verschwindet das Thema des Bürgerkrieges sehr bald, um erst Jahrzehnte später wieder aufzutauchen; es verkörpert sich nunmehr in einem Romanhelden, der als Berufsrevolutionär und Communekämpfer auftritt. Der Roman, um den es sich handelt, Quitt (1890), bringt eine neue Variante des uralten Themas vom flüchtigen Mörder. Als Quelle dient eine tatsächliche Begebenheit aus dem Jahre 1877: Bei einem schlesischen Dorfe hatte ein Wilderer einen Förster ermordet. In der Handlung wird eine lang andauernde Konfliktsituation zwischen beiden Gegenspielern dargestellt. Der Förster hält sich auf seiner subalternen Stufe für die Verkörperung von Gesetz und Ordnung; der Gelegenheitswilderer, ein Arbeiter, ist ein gegen die bestehende Gesellschaft sich auf lehnender Mensch; in den Augen seines Gegners erscheint er als Agitator, der „beständig von Freiheit“ rede. 45 So nimmt dieser banale Streitfall schon zu Anfang der Erzählung eine politische Dimension an.
Der Wilderer tötet seinen Gegner und flieht nach den Vereinigten Staaten, wo ihn eine mennonitische Gemeinde aufnimmt. Dort befreundet er sich mit einem anderen Flüchtling, einem ehemaligen Communarden. Die politische Dimension des Romans erweitert sich hier. Beide Verbannten haben einen gemeinsamen Zug: die Empörung des Rebellen gegen die Macht. Jedoch wird im Falle des schlesischen Dorf-Agitators der Rahmen des Gegensatzes zwischen Individualitäten nicht überschritten. Dagegen ist der Fall des Communarden einer altbekannten, historisch gewordenen Phase der europäischen Klassenkämpfe zugeordnet.
Zweifellos hat der Autor seinen Helden, den Wilderer, als sympathische Gestalt gezeichnet, denn der Leser gewinnt den Eindruck, nicht der Mörder, sondern der Ermordete sei schuldig. Aber Fontane hat wohl gefühlt, daß die Antithesis Rebell gegen Staatsgewalt als literarisches Thema durch die Darstellung einer Kriminalaffäre nicht erschöpft ist. Darum hat er jenen Revolutionär in die Handlung eingeführt, in dessen Persönlichkeit die politische Zeitgeschichte zur Allegorie wird. Die Gestalt, „Monsieur I/Hermite“, ist erfunden. Doch hat die Wirklichkeit wichtige Anhaltspunkte geliefert, vor allem den Schauplatz der revolutionären Aktion.
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