Dieser Schauplatz ist, im Vergleich zum schlesischen Dorf, zu jenem bescheidenen Ferienort, wo Fontane die Romanhandlung beginnen laß., eine grandiose, und zugleich schreckenerregende Szenerie. Es ist zunächst der Seinebogen von Asnieres, vor den Toren der Stadt Paris; dort schlagen sich die Regierungstruppen gegen die Communarden, oder, wie es im Romantext heißt, „Die Versailler gegen die Pariser“/' 6 Diese Schlacht hatte Fontane, wie oben berichtet, am 20. April 1871 mit dem Feldstecher beobachtet.
Ein weiterer Schauplatz des Bürgerkrieges, der in Quitt erwähnt wird, ist das kämpfende Paris, die Straßenschlachten, die Blutwoche, die Erschießung der Geiseln durch die Insurgenten; „Und der letzte war der Erzbischof ... ich übernahm selber das Kommando... Er ist gestorben wie ein Held“/' 7 So spricht L’Hermite, der revolutionäre Kämpfer der Jahre 1848 und 1871, den die Machthaber erst zum Tode verurteilt und dann nach Neukaledonien deportiert hatten, von wo er schließlich entfliehen konnte/' 8
Wie erklärt sich die enge Freundschaft, welche den jungen individualistischen Rebellen aus Deutschland und den altbewährten Streiter der französischen Klassenkämpfe miteinander verbindet? Zwischen dem schlesischen Wilderer und dem Pariser Insurgenten besteht eine Schicksalsgemeinschaft. Beide haben Blut vergossen. Beide sind durch die Erinnerung an ihre Tat gezeichnet. In dieser .schicksalshaften Bindung zwischen den beiden Tätern gehört auch ihre Gesinnungsgemeinschaft, kurz, die Klassensolidarität zwischen dem deutschen Arbeiter und dem französischen Revolutionär. Darf man daraus schließen, daß Fontane, nachdem er zwanzig Jahre zuvor als Reporter den „roten Aufstand“ verurteilt hatte, seine Grundanschauungen soweit gewandelt hat, daß er raunmehr in seinem Roman die Commune in günstigem Licht erscheinen läßt? Ja und nein. Auf jeden Fall war im Jahre 1890 die Erinnerung an die Pariser Commune bei allen Zeitgenossen noch lebendig. Der Kampf um die Amnestie, die den Besiegten schließlich im Jahre 1880 zugestanden wurde, hatte fast zehn Jahre gedauert. Außerdem sei hier darauf hingewiesen, daß die deutsche Arbeiterbewegung, nachdem sie sich 1871 öffentlich mit den Communekämpfem solidarisiert hatte, schließlich siegreich aus einer zwanzig Jahre dauernden politischen Verfolgung hervorgegangen war. 49 Als Fontane 1890 den Roman Quitt veröffentlicht, wird die Sozialdemokratie durch die Zahl ihrer Wählerstimmen zur größten Partei Deutschlands. Von nun an richtet sich das Interesse des Dichters mehr und mehr auf die soziale Frage. Es sei hier daran erinnert, daß Fontane in jenem Jahre an seinem satirischen Roman über die Berliner Bourgeoisie arbeitet: Frau Jenny Treibei (1892 erschienen), worin jener denkwürdige Satz steht: „Wenn ich nicht Professor wäre, so würde ich am Ende Sozialdemokrat“. 60 Diese Worte sind bedeutungsvoll. Ausgesprochen werden sie von einer Gestalt, in der sich der Autor spiegelt; unbestreitbar zeigt sich hier dessen Sympathie für die Arbeiterbewegung. Doch Sympathie heißt noch nicht Mitwirkung. In ähnlicher Weise kommt diese Haltung in Quitt zum Aus- durck. Der Repräsentant des Aufstandes der Pariser Arbeiterklasse
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