erscheint als sympathische Persönlichkeit, gibt aber auch zu gewissen Vorbehalten Anlaß. Denn häufig erscheint dieser Revolutionär als ein Visionär, ein Utopist. Einerseits heißt es von ihm: „Ist er nicht der Allerneuesten einer, ist er nicht ein Communard?“ 51 Andererseits distanziert man sich: „Er ist ein unruhiger Geist... Und dann spricht er irr und deklamiert lange Gedichte vom Menschengeist, der seine letzten Fesseln abwerfen müsse“. 52 L’Hermite ist gewiß eine fesselnde Persönlichkeit, wird aber als Psychopath dargestellt, und zwar in doppelter Hinsicht. Neben seinen utopischen Gedanken äußert sich sein Verfolgungswahn. Er ist ein Schwärmer durch seine fixe Idee, die „Menschheitsbeglückungsidee“; 53 außerdem hat er noch ganz andere Visionen; nachts erscheint ihm das Gespenst des Erzbischofs, den er hat erschießen lassen, eine keineswegs groteske, wohl aber erschreckende Szene.
So fügt Fontane die Pariser Commune in sein literarisches Werk ein, indem er seine anscheinend unwiderrufliche Gegnerschaft aus dem Reporterjahr 1871 merklich abmildert. Durch das Auftreten des Revolutionärs im Roman zeigt sich die neutrale Haltung des Dichters. Der Communarde ist zwar ein sympathischer Mensch, aber zugleich ein pathologischer Fall. Seine Wahnvorstellungen sollen den Leser an den Kollektivwahnsinn erinnern, der nach Fontanes Ansicht im Jahre 1871 Paris beherrschte. L’Hermite wird zugleich als der große Neuerer und als der Überlebende vergangener sozialer Katastrophen dargestellt.
In einer zeitgenössischen Besprechung des Romans Quitt erklärt der Literaturkritiker Paul Schlenther, Fontane sei „teils Neu-Ruppiner, teils Altfranzos“. 54 Dieses Wortspiel hat den Dichter lebhaft erfreut; er sagt dazu: „Nie bin ich netter, schmeichelhafter und zutreffender charakterisiert worden. Aber der Franzose, je älter ich werde, kommt immer mehr heraus.“ 55
Deuten diese beim Erscheinen von Quitt gesprochenen Worte hin auf eine politische Sinnesänderung Fontanes gegenüber dem Frankreich, das er 1870—71 erlebt hat? Ein Blick auf seinen lezten Roman, Der Stechlin, macht es möglich, diese Frage zu beantworten.
VI.
Die Commune als Revolutions-Allegorie.
Untergangsstimmung herrscht in Fontanes spätestem Werk Der Stechlin (1898). Das alte Regime geht seinem Ende entgegen. Die Hauptgestalt des Romans, ein betagter brandenburgischer Junker, ahnt, gegen Ende seines Lebens, daß seine halb feudalistische, halb kapitalistische Epoche vor dem Verschwinden steht. Die Resignation dieses überlieferungstreu denkenden, aber auch ironischen Menschen äußert sich bald in humoristischen Wendungen, bald in kaum verhüllten Angstgefühlen. Die Vorgänge, die ihn betreffen, sind deutlich genug. Er, der adlige Grundherr und Kandidat der konservativen Partei, ist bei einer Reichstagswahl von seinem sozialdemokratischen Gegner geschlagen worden, und das in einem Wahlkreis, der bis dahin stets konservative Vertreter ins Parlament geschickt hatte.
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